domradio.de: Was haben Sie auf Ihrer Reise gesehen?
Nadim Ammann (Mitarbeiter im Referat Weltkirche im Erzbistum Köln): Der Anlass meiner Reise im Mai in den Libanon war, mir ein Bild davon zu machen, wie es vor allen Dingen den Flüchtlingskindern geht. Zudem wollten schauen, was wir als Erzdiözese Köln machen können. Ich habe in der Bekaa-Ebene Flüchtlinge besucht, bin in Camps gewesen und habe gesehen, wie die Kinder dort leben. Ich habe auch christliche Flüchtlinge besucht, die nicht in den Camps leben, sondern in Wohnungen, die ganz oft nicht registriert sind, weil die Christen Furcht vor Repressalien haben und ungern mit Muslimen zusammen sind. Die leben gerne separat in eigenen Wohnungen.
domradio.de: Kommen wir zu den Kindern, die in die Schule gehen sollten. Was ist das für eine Schule, die vom Erzbistum Köln unterstützt wird? Befindet sich die auf dem Gelände eines Flüchtlingslagers, oder wie stellt man sich das vor?
Ammann: In der Bekaa-Ebene sind sehr viele Zelte aufgestellt, da leben gut 700.000 Menschen. Eine Infrastruktur gibt es dort nicht. Kinder einfach in Schulen zu integrieren ist ein Wunsch, aber kaum machbar. Der Bischof von Zahlé, mit dem wir seit längerem in Kontakt sind, betreibt eigene Schulen und hat sich an die Erzdiözese Köln mit der Bitte gewendet, den Nachmittagsunterricht für Flüchtlingskinder zu finanzieren. Es ist eine ganz normale Schule für libanesische Kinder. Morgens findet der Regelbetrieb statt und nachmittags gibt es dann einen eigenen Unterricht für Flüchtlingskinder.
domradio.de: Den Unterricht gibt es dann für alle Flüchtlingskinder oder nur für christliche?
Ammann: In diesem Fall sind es nur christliche Flüchtlingskinder. Das hat einfach den Hintergrund, dass die UN auch Schulen in den Flüchtlingslagern betreiben. Das bedeutet, dass die muslimischen Kinder, die auch in dem Flüchtlingslager sind, dort noch andere Möglichkeiten auf einen Unterricht haben. Während die Kinder der christlichen Flüchtlinge, die nicht in den Camps wohnen, weniger Chancen haben. Der Bischof möchte mit dieser Schule vor allem Christen ansprechen.
domradio.de: Wie groß ist am Nachmittag dann die Klassenstärke in dieser Schule?
Ammann: Das ist ähnlich wie bei uns. Das sind so 25 bis 30 Kinder.
domradio.de: Wer unterrichtet denn die Kinder?
Ammann: Bestandteil des Programms ist, dass neue Lehrer eingestellt werden. Das können nicht die Lehrer übernehmen, die den Regelbetrieb am Morgen übernehmen. Neben neuen Lehrern werden auch zwei Sozialpädagogen eingestellt. Es wird ganz wichtig sein, mit den Kindern über den normalen Unterricht hinaus zu arbeiten und zu sehen, ob sie traumatisiert sind und noch psychologische Hilfe brauchen. Es gibt auch einen Psychologen, zu dem sie im schlimmsten Fall überwiesen werden. Wir haben auch Wert darauf gelegt, dass es eine Art zivilen Unterricht gibt. Die syrischen Flüchtlingskinder sollen daran erinnert werden, woher sie eigentlich kommen. Sie sollen die Liebe zu ihrem Land nicht verlieren - auch mit der Perspektive, eines Tages wieder zurückzukehren und das Land wieder aufzubauen. In diesem Bereich soll es auch so etwas wie Friedenserziehung geben.
domradio.de: Das klingt so ein bisschen wie Heimatkunde, oder?
Ammann: Syrien war ja ein wunderschönes Land. Die Kinder haben dort gelebt. In die Bekaa-Ebene sind nicht besonders wohlhabende Menschen geflüchtet. Die hatten ihre Bauernhöfe, ihre Ländereien und waren aber damit sehr glücklich.
domradio.de: Wenn die Schule jetzt für die Kinder beginnt, gehen die dann auch mit einer Schultüte hin?
Ammann: Nein, das gibt es nicht. Die gehen ganz normal mit ihrem Schulranzen in die Schule. Aber es wird schon ein ganz besonderer Tag für sie sein, weil sie ja schon eine ganze Zeit nicht in die Schule gegangen sind. Der große Teil der syrischen Flüchtlingskinder geht nach wie vor nicht in die Schule. Es ist also ein ganz, ganz großer Bedarf da. Glücklicherweise sind andere Hilfswerke, katholische Hilfswerke wie Misereor, auf diesem Sektor aktiv. Wir sind ganz froh, dass wir mit dem Bischof von Zahlé einen Partner finden konnten, der die Schule bereitgestellt hat und wir hier einen Beitrag leisten können. Für die Kinder wird das ab nächster Woche eine tolle Sache sein, weil sie einfach auch aus der bedrückenden Situation der Lager oder der engen Wohnungen ausbrechen können. Sie sind dann mit Gleichaltrigen zusammen, lernen und spielen miteinander und erleben so einfach auch mal einen Tapetenwechsel.
domradio.de: 120 Kinder können in diese Schule gehen, die das Erzbistum Köln unterstützt. Ist das eine ausreichende Zahl oder musste man da eine Auswahl treffen?
Ammann: Es sind sogar 150 Kinder. Die Auswahl trifft die Schule selber, wobei es da keine strengen Kriterien gibt. Wer in die Schule gehen kann, der geht auch in die Schule. Das ist das vorrangige Ziel. Ich weiß, dass der Bischof von Zahlé und die Caritas Libanon an dem Thema dran sind, möglichst alle Kinder in die Schule zu bekommen. Aber in der ganz großen Fläche der Bekaa-Ebene, die sich unglaublich lang hinzieht und in der mittlerweile 700.000 Menschen leben, ist die Gesundheitsversorgung eine Katastrophe und ebenso die schulische Situation. Die Jesuiten haben versucht, in den Camps zwei Schulen zu eröffnen. Aber diese zwei Schulen sind für die Menge an Bedarf nicht ausreichend. Von daher ist das jetzt eine Möglichkeit, eine nicht kleine Anzahl aufzunehmen. Nach einem Jahr werden wir mit dem Partner evaluieren, wo wir stehen. Dann schauen wir, was noch an Bedarf besteht sehen gemeinsam, wie wir weitermachen möchten.
domradio.de: Haben die Kinder denn auch eine Art von Integration? In Deutschland gibt es Flüchtlingsklassen, integrative Klassen. Ist das auch eines der Anliegen in der Schule, die Sie jetzt besucht haben, dass man die zusammenbringt?
Ammann: Im Prinzip sind diese Nachmittagsschulen mit diesem Ziel gegründet worden. Das bedeutet, dass die ganze Schulerziehung das Ziel hat, die Kinder auf den regulären Betrieb vorzubereiten, so dass möglichst viele Kinder ganz normal integriert werden können. Wir unterstützen neben dieser Schule seitens der Erzdiözese Köln auch ein Programm der Caritas, wo jüngere Kinder in den Regelschulbetrieb integriert werden. Vom Schulsystem im Libanon muss man wissen, dass die meisten Schulen in einer Fremdsprache unterrichten, Französisch oder Englisch. In Syrien ist das nicht der Fall. Dies ist mit das Hauptproblem, warum ältere Kinder nicht einfach in bestehende Schulklassen integriert werden können. Das ist aber kein Problem für jüngere Kinder. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass jüngere syrische Flüchtlingskinder mit ganz großem Ehrgeiz rangehen, weil die sich sehr wohl bewusst sind, welche Chance sie bekommen, hier in die Schule zu gehen und aus der aktuellen Situation herauszukommen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.