KNA: Padre Pettinger, wie lautet ihr persönliches Fazit der Paralympics?
Georg Pettinger: Die Paralympics sind mehr als die Olympischen Spiele die Spiele des Volkes geworden. Dank der reduzierten Eintrittspreise sind über zwei Millionen Tickets verkauft worden und die Stadien waren oft voll. Die Leute in Rio sind gut drauf, das ist auch den Athleten aufgefallen. Mir hat so mancher Sportler erzählt, wie wahnsinnig erstaunt er war, wie sehr die Zuschauer mitzitterten, jubelten und feierten. Es ist besser gelaufen als man nach den Olympischen Spielen gedacht hätte.
KNA: War das deutsche Team auch zufrieden?
Pettinger: Nicht jeder kann gewinnen, das wissen auch die Athleten und sie haben sich auch über ihre Leistung gefreut, wenn nicht Gold, Silber oder Bronze heraussprang. Die Stimmung im Deutschen Haus war wunderbar. Verdientermaßen haben die Bewohner es auch mal krachen lassen, wie am 30. Geburtstag von Mathias Mester, als der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands Friedhelm Julius Beucher mit dem Geburtstagskind in den Pool sprang.
KNA: Sie und Ihr evangelischer Kollege Christian Bode haben unter anderem an interessierte Sportler täglich eine SMS geschickt - kam die Botschaft an?
Pettinger: Wir haben damit etwa 30 Athleten erreicht. Besonders gefreut hat uns, dass es teils sogar Antworten via SMS gab, wie: "Genau den Spruch habe ich heute gebraucht." Besonders intensiv war auch ein Besuch mit dem Tischtennis-Team bei einem Straßenkinderprojekt. Bei einer Partie Tischtennis konnten wir den deutschen Sportlern die Sorgen und den Lebensalltag der Menschen in Brasilien vermitteln.
KNA: Was hat Sie beeindruckt?
Pettinger: Neben den sportlichen Leistungen der Behinderten, war es die Tatsache, dass Rio es geschafft hat, die Spiele allen Unkenrufen zum Trotz so hervorragend zu bewältigen. Wie die Menschen hier quasi zu Freunden für die Teilnehmer und Besucher aus aller Welt wurden, hat mich sehr berührt.
KNA: Für Schlagzeilen in Europa sorgte eine Aussage der belgischen Sportlerin Marieke Vervoort, die wegen einer chronischen Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt. Sinngemäß sagte sie, dass sie sich vorstellen könne, bei weiter fortschreitender Krankheit aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. War das ein Thema bei den Paralympics?
Pettinger: In Rio hat die Nachricht keine großen Wellen geschlagen. Ich persönlich finde es schade, dass die Debatte ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt angestoßen wurde.
KNA: Warum?
Pettinger: Es handelt sich meiner Wahrnehmung nach mehr um ein persönliches Anliegen von Marieke Vervoort. Dieses Anliegen, also die Sterbehilfe, bei einer Veranstaltung für Menschen mit Behinderung anzusprechen, halte ich für unglücklich. Gerade bei den Paralympischen Spielen wird doch das Leben gefeiert - das Leben mit Behinderung und das Kämpfen mit Grenzen, die auch jeder andere Mensch hat.
KNA: Glauben Sie, dass die Spiele die Integration von Behinderten in Brasilien vorangebracht haben?
Pettinger: Leider muss ich sagen, dass ich mir in diesem Punkt mehr erhofft habe. Es fängt damit an, dass die Eröffnungsfeier nicht komplett live übertragen wurde. Enttäuscht war ich auch, dass noch während der Spiele die ersten barrierefreien Zugänge wie Rampen abgebaut wurden und Rollstuhlfahrer Treppen hinaufgetragen werden mussten. Ich fürchte, demnächst stehen andere Dinge im Vordergrund: die wirtschaftlich und politisch problematische Lage. Umso wichtiger ist, dass im Rahmen der Spiele angestoßene Projekte weiterverfolgt werden. Dabei hilft das Aktionsbündnis "Rio bewegt. Uns." von katholischen Verbänden, Hilfswerken und dem Deutschen Olympischen Sportbund.
Das Interview führte Rainer Nolte.