Wenn Pater Oliver Potschien sonntags in der katholischen Kirche St. Peter das Hochamt feiert, ist das Gotteshaus mit gut 200 Besuchern gefüllt. Das ist beachtlich, denn St. Peter liegt in Duisburg-Marxloh, einem Stadtteil mit 65 Prozent Zuwanderern, der als sozialer Brennpunkt gilt. Dass Pater Oliver in diesem Umfeld so viel Zuspruch findet, liegt an seiner Persönlichkeit und seinem Engagement. Für eines seiner bekanntesten Projekte sucht der katholische Prämonstratenser-Mönch nun verzweifelt Hilfe: für die Gesundheitsversorgung unversicherter Flüchtlinge und armer Menschen.
Denn die Möglichkeiten der Ambulanz im früheren Pfarrhaus stoßen nach knapp zwei Jahren an ihre Grenzen. "Das war von Anfang an ein Provisorium, das wir den Menschen nicht mehr länger zumuten können", sagt Pater Oliver. Bis November müsse eine Lösung her. Gemeinsam mit dem Leiter des Duisburger Gesundheitsamtes schrieb er deshalb nun Krankenhäuser und die rund 500 Ärzte der Stadt an. Seine Idee: Jeder Arzt behandelt einen Patienten einmal im Monat in seiner Praxis kostenlos.
Ärztliche Versorgung für jeden Menschen
Die Gesundheitsversorgung liegt dem Mönch aus der Abtei Hamborn besonders am Herzen. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst eine Ausbildung als Krankenpfleger und machte vor ein paar Jahren noch einen Bachelor-Abschluss in Gesundheitswissenschaften. "Ohne Krankenversicherung gibt es keine ärztliche Behandlung, und wer einmal aus der Versicherung raus ist, hat kaum Chancen, wieder hineinzukommen." Das sagte er auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel, als die Politiker Marxloh besuchten. Aber passiert sei nichts.
Und Pater Oliver weiß, wovon er spricht. Zur Gründung der Ambulanz Ende 2014 hatten ihn Erfahrungen von Patienten bewegt. "Mir hatten mehrere Leute erzählt, dass sie im Krankenhaus nicht behandelt worden seien, weil sie nicht versichert waren", erinnert sich der Pater, der von 16.000 Menschen ohne Krankenversicherung alleine in Duisburg spricht. Eine befreundete Ärztin sagte zu, die Patienten kostenlos zu behandeln. Heute sind es sechs Ärzte, die jeden Donnerstag bis zu 150 Patienten untersuchen und versorgen. Auch Arzthelferinnen und Krankenschwestern sind dabei. Außerdem gibt es mittwochs eine Mütterschule mit Hebammensprechstunde.
Zeit für Menschlichkeit
Die Gesundheitsambulanz ist angeschlossen an den Petershof, ein von Potschien aufgebautes sozialpastorales Zentrum neben der Kirche, das wöchentlich von mehr als 1.000 hilfsbedürftigen Menschen aufgesucht wird und in dem 170 Ehrenamtliche tätig sind. Der Pater wurde dafür im vergangenen Jahr mit dem Katholischen Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus der Deutschen Bischofskonferenz ausgezeichnet.
Das Zentrum, das Pater Oliver nach einer ehemaligen Kneipe in der Gemeinde benannte, bietet eine Kleiderstube und eine kostenlose Lebensmittelausgabe, eine Notunterkunft und eine Anlaufstelle für Flüchtlinge. Zu den Angeboten gehören Deutsch- und Integrationskurse für Ausländer, Arbeit mit straffällig gewordenen Jugendlichen, Jugendfreizeitfahrten, Kindergruppen und ein Seniorentreff.
Das außergewöhnlichste Angebot aber ist das medizinische Versorgungsangebot. Entstanden sei es aus dem Bedarf heraus, erklärt Pater Oliver. "Als ich im September 2012 von meinem Abt mit der Aufgabe, ein sozialpastorales Zentrum aufzubauen, hierher gesandt wurde, habe ich schnell mitbekommen, was gebraucht wird. Und mir war klar: Ich muss den Menschen helfen, weil es sonst keiner tut."
Große Armut im reichen Deutschland
Der gebürtige Duisburger, der in Mülheim an der Ruhr aufwuchs, holte das Georgswerk mit ins Boot, einen Verein, den er bereits 2002 in Duisburg aufgebaut hatte und der auf Gesundheits- und Ernährungsberatung für Mütter spezialisiert ist. Schon damals, bei seiner ersten Stelle als Pater im Duisburger Norden, nahm der Ordensmann nach eigener Aussage "mit Erstaunen und Fassungslosigkeit" wahr, wie groß die Armut im reichen Deutschland ist. "Und daran hat sich bis heute nichts geändert", sagt der 46-Jährige.
Für seine Ambulanz, die mit ersteigerten Ultraschall- und EKG-Geräten arbeitet, ist bislang keine Rettung in Sicht. Auf seinen Brief hin meldeten sich erst gut ein Dutzend der insgesamt rund 500 Ärzte, wie der große, kräftige Mann mit der lauten Stimme ernüchtert sagt. Wie es nun weitergehen soll für die Kranken und Schwangeren, die Kinder und Senioren ohne Versicherung, weiß der Ordensmann nicht. Sicher ist nur: Hilfsbedürftige Menschen im Stich zu lassen, ist für Pater Oliver keine Option.
Stephanie Wickerath