Koenigs warnt vor Ablehnung des Friedensvertrages in Kolumbien

"Ein Nein wäre eine Blamage"

Nach dem Friedensabkommen zwischen der Regierung in Kolumbien und der Guerilla-Organisation FARC folgt am Sonntag eine Volksabstimmung. Ein "Nein" hätte verheerende Folgen, warnt der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den Friedensprozess.

Tom Koenigs / © Tobias Käufer (KNA)
Tom Koenigs / © Tobias Käufer ( KNA )

KNA: Herr Koenigs, Sie haben die historische Unterschrift unter den Friedensvertrag zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der FARC-Guerilla in Cartagena am vergangenen Montag miterlebt. Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?

Tom Koenigs (Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Friedensprozess in Kolumbien): Zunächst einmal ist das ein Einschnitt, der auch als Erfolg von der internationalen Gemeinschaft gefeiert wurde, die ja prominent vertreten war. Es war gut, dass bei der Veranstaltung beide Seiten ausführlich zu Wort gekommen sind. So konnte sich jeder selbst ein Bild machen, wer diese Leute sind und was wollen sie. Und es sind einige wichtige Sätze gefallen wie der von der FARC-Guerilla, die um Verzeihung bat für die Opfer, die sie im kolumbianischen Volk verursacht hat. Und der Satz, dass auch andere Meinungen und Opposition zu akzeptieren sind.

KNA: Sie haben in den vergangenen Monaten auch mit den FARC-Kommandanten gesprochen. Was ist Ihre Bilanz aus diesen Gesprächen?

Koenigs: Die FARC hat während des Dialogprozesses in Havanna viel darüber gelernt, was eine moderne linke Partei braucht. Auch wenn da noch viel nötig ist, um sich weiter zu entwickeln. Man hat auch bei der Feier in Cartagena gesehen, dass ein moderner linker Diskurs viel mehr auf die Jugend eingehen muss.

Ich glaube nicht, dass es Fidel Castro besser gemacht hätte, hätte er dort seine alten Reden geschwungen. Aber ich glaube, dass eine moderne Linksopposition, die Kolumbien wirklich verdient, anders vorgehen muss. Es ist richtig und wichtig, dass es eine Partei gibt, die die notwendigen Fragen wie Landverteilung, ländliche Entwicklung und Armutsbekämpfung stellt. Eine solche Partei und Bewegung gehört auch ins Parlament. Kolumbien könnte mehr Demokratie wagen. Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass das von Willy Brandt stammt und er hat mir geantwortet, dass das ein Element der zukünftigen Politik sein könnte.

KNA: Was macht diesen Friedensvertrag so besonders?

Koenigs: Er stellt die Opfer in den Mittelpunkt. Und er ist eine Lösung, die auf dem Verhandlungsweg erzielt wurde. Das kam in Kolumbien in den letzten 100 Jahren nicht allzu oft vor. Kolumbien geht bei der juristischen Aufarbeitung des Konflikts neue Wege. Das Innovative dabei ist, dass am Anfang eine Wahrheitspflicht steht. Der Täter muss die Wahrheit sagen und kann nicht - wie bei uns - die Aussage verweigern. Wer in Kolumbien die Aussage verweigert, wird nicht von der Übergangsjustiz profitieren können.

Wie bedeutend das ist, kann man in unserer eigenen Geschichte sehen. Von den Nazi-Verbrechern hat kein einziger Verantwortung gegenüber den Opfern übernommen. Der Staat, die Jugend sehr wohl, aber eben nicht die Verbrecher. Ich glaube deshalb, dass diese Übergangsjustiz in Kolumbien einen Vorbildcharakter haben kann.

KNA: Am Sonntag wird bei der Volksabstimmung über den Friedensprozess abgestimmt. Was würde eigentlich passieren, wenn die Bevölkerung "Nein" sagt? Es gibt ja durchaus Vorbehalte und die Umfragen sagen keinen klaren Wahlsieg der Befürworter voraus.

Koenigs: Das würde Kolumbien in die 1980er Jahre zurückwerfen. Im Moment ist Kolumbien das Land des Friedens, dieser Ruf wäre dann wieder verloren. Und es würde für eine große Frustration sorgen, dass es eben doch nicht möglich ist, in einen Versöhnungsprozess einzutreten, den das Land dringend braucht. Das wäre ein Tiefschlag und eine Blamage für die internationale Gemeinschaft, die sich ja sehr intensiv eingebracht hat in diesen Prozess.

Jeder der vergangenen Präsidenten, auch Alvaro Uribe, der das Abkommen ja ablehnt, hat versucht einen Friedensprozess zu organisieren. Keiner hat es so weit gebracht. Ein Nein würde bedeuten, dass eine ganze Generation verloren wäre. Kein Präsident würde sich mehr an das Thema heranwagen. Dann würde der Krieg wieder von neuem losbrechen, auch wenn vielleicht auf eine andere Art.

KNA: Hätten Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos und FARC-Kommandant Rodrigo Londono Jimenez alias "Timochenko" den Friedensnobelpreis verdient?

Koenigs: Ich freue mich immer, wenn die Nobelpreise an Menschen verliehen werden, die etwas riskieren. Das haben beide getan. Wenn am Sonntag das "Nein"-Lager gewinnt, dann wäre die Ära Santos praktisch beendet. Es gibt keinen Plan B. Timochenko, der für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wird, auch für die Erschießung von eigenen Genossen, mit dem Nobelpreis zu ehren, wäre kühn. Es zählt nicht immer nur der gute Wille, sondern auch die Umsetzung.

Das Gespräch führte Tobias Käufer.


Quelle:
KNA