domradio.de: Franziskus ist der Papst, der immer für Überraschungen gut ist. Wie überraschend ist die Auswahl der Kardinäle diesmal?
Jan Hendrik Stens (Theologieredaktion): Dass die Ernennung jetzt erfolgen würde, war nicht so ganz überraschend. Im August dieses Jahres hatte bereits ein amerikanisches Jesuiten-Magazin gemeldet, dass Franziskus für November ein Konsistorium vorbereiten würde und dementsprechend auch neue Kardinäle ernannt werden. Es wurden auch einige heiße Kandidaten genannt. Insofern war nicht überraschend, dass die Ernennung gestern erfolgt ist. Wer Franziskus kennt und geschaut hat, wen er beim letzten Mal ernannt hat, macht deshalb vielleicht nicht ganz so große Augen. Den Kurs, das Kardinalskollegium immer mehr zu internationalisieren, verfolgt Franziskus ganz klar weiter.
Ein Name sticht allerdings heraus, den man durchaus als Überraschung bezeichnen könnte. Dabei handelt es sich um Mario Zenari, den Apostolischen Nuntius - also den Botschafter des Vatikan - in Syrien, in Damaskus. Wir erleben zurzeit ja alle, was in diesem Land los ist. Das ist dann schon ein ganz besonderes Zeichen. Es ist eigentlich nicht üblich, das Apostolische Nuntien dann auch noch mit dem neuen Kardinalsstatus weiter Nuntien bleiben. Aber er bleibt dort in Damaskus.
domradio.de: Ist das auch als Würdigung für die Arbeit in Syrien zu verstehen?
Stens: Klar, das ist eindeutig ein Zeichen der Solidarität mit der notleidenden syrischen Bevölkerung vor Ort. Gar keine Frage.
domradio.de: Europa und insbesondere Italien scheinen gar nicht im Fokus von Papst Franziskus zu liegen. Auch Deutschland geht bei neuen Kardinalsernennungen leer aus. Was ist damit beabsichtigt?
Stens: Man kann vielleicht mit einem Spruch aus dem Lukasevangelium, dem Magnificat, antworten: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron". Die europäische Vorherrschaft, die wir eigentlich im Kardinalskollegium immer hatten und nach wie vor auch noch haben, die durchbricht Franziskus. Diese 17 Kardinäle, die Franziskus ernannt hat, kommen aus allen Erdteilen. Dreizehn sind davon für eine künftige Papstwahl wahlberechtigt. Drei davon kommen alleine aus Lateinamerika. In Lateinamerika lebt die Hälfte aller Katholiken und insofern ist es natürlich klar, dass man auch schaut, dass die Kardinäle aus diesen Ecken der Welt kommen.
Bemerkenswert ist, dass unter den traditionellen Anwärtern vor allem Italien völlig leer ausgeht. Von den italienischen Diözesen ist keine einzige dabei, deren Bischof oder Erzbischof zum Kardinal ernannt worden ist. Auch Venedig und Turin gehen nach wie vor leer aus, was schon einigermaßen bemerkenswert ist. Selbst in Lateinamerika sind es nicht die Diözesen, die jeder vom Namen her kennt. Auch hier geht Franziskus an die Ränder der Gesellschaft. Afrika ist zum Beispiel mit der Zentralafrikanischen Republik vertreten. Es ist Mauritius dabei, Papua-Neuguinea und Bangladesch ebenso. Da fragt man sich vielleicht, warum da jetzt ein Kardinal herkommt. Wenn man sich an die letzte Ernennung erinnert, da hatten wir Tonga dabei. Franziskus sucht sich Ecken aus, von denen wir selten vorher etwas gehört haben. Das ist aber auch das Interessante, da die Kirche dadurch internationaler wird.
Was Deutschland angeht, da gibt es noch Berlin als eigentlich traditionellen Kardinalssitz. Aber das scheint für Franziskus keine Rolle zu spielen. Außerdem ist die katholische Kirche Deutschlands durch den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz im Kardinalskollegium und gleichermaßen sogar im Kardinalsrat stark genug vertreten.
domradio.de: Aber was ist dann mit Brüssel und Madrid, die ja nun auch zu den traditionellen Kardinalssitzen gehören und nun berücksichtigt wurden?
Stens: Das ist das einzige, wo man sagen könnte, dass es nicht so richtig ins Gesamtbild passt. Madrid und Brüssel gehören, ähnlich wie Berlin zu den traditionellen Kardinalssitzen. Madrid ist aber tatsächlich in der erwähnten Jesuiten-Zeitschrift im August schon genannt worden. Barcelona übrigens auch, das nun aber leer ausgegangen ist.
Brüssel, das nun wieder einen Kardinal bekommt, ist auch interessant, weil es dort in der Vergangenheit eine Art Personenkarussell gegeben hat. Godfried Danneels, der Vor-Vorgänger des jetzigen Erzbischofs, ist einer der großen Gefolgsleute von Franziskus. Sein direkter Nachfolger sollte 2010 - wie gut informierte Kreise sagen - eigentlich Jozef De Kesel, der jetzt Erzbischof von Mechelen-Brüssel ist, werden. Allerdings kam unter Benedikt XVI. erst noch Erzbischof Leonard dazwischen, während De Kesel nach Brügge geschickt wurde, wo Roger Vangheluwe wegen Missbrauchs seines Neffen als Bischof zurückgetreten war. Wenn man sich an Erzbischof Leonard erinnert, so hatte der ein nicht ganz so glückliches Händchen, was das mediale öffentliche Auftreten anbelangte. Er ist auch nie von Franziskus zum Kardinal ernannt worden.
Jetzt ernennt Franziskus den eigentlich damals schon geplanten Nachfolgekandidaten von Danneels, Jozef De Kesel, zum Kardinal. Es ist vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Danneels als Emeritus noch seine Finger im Spiel hat. Er gilt ja als Papstmacher von Franziskus und war auch einer der Teilnehmer bei der Familiensynode in Rom, obwohl es in Belgien dagegen Proteste gegeben hat, weil Kardinal Danneels vorgeworfen wurde, im Zuge des Missbrauchsskandals ebendort nicht sonderlich zur Aufklärung beigetragen zu haben. Und bei der Präsentation seiner Biografie im vergangenen Herbst bekannte Danneels, einer Gruppe reformorientierter Kardinäle anzugehören, die er etwas unvorsichtig als "mafia-ähnlich" bezeichnete. Es ist also alles mit einem gewissen "Geschmäckle" versehen, aber auch in der Kirche wird Politik gemacht.
domradio.de: Wie sehen denn dann jetzt die Mehrheitsverhältnisse im Kardinalskollegium aus?
Stens: Die Internationalisierung wird weiter vorangetrieben. Die Europäer machen mit 53 von demnächst 121 Kardinälen noch die größte Gruppe aus. Es gibt allerdings eine deutliche Gewichtsverschiebung. Aber bis die europäische Mehrheit durchbrochen ist, braucht es noch einige weitere Ernennungen.
Das Interview führte Silvia Ochlast.