domradio.de: Warum fällt es so schwer, einen Präsidenten zu finden? Eigentlich müssten die Kandidaten doch Schlange stehen.
Dr. Christiane Florin (Redakteurin für Religion und Gesellschaft beim Deutschlandfunk): Ich glaube, das hat zwei Gründe. Zum einen hat man noch die konkrete Vorgeschichte mit zwei Rücktritten - Horst Köhler und Christian Wulff - vor Augen. Die Rücktritte erfolgten zwar aus verschiedenen Gründen, haben aber nach Außen signalisiert, dass es kein leichtes Amt ist, was man da übernimmt. Joachim Gauck hat aus dieser schwierigen Situation, wie ich finde, etwas sehr Gutes gemacht. Das ist natürlich jetzt für die potentiellen Kandidaten ein starker Vorgänger und viele hatten gehofft, dass er weitermacht.
Der zweite Grund ist noch tiefer liegender: Es besteht allgemein eine Tendenz bei solchen "Top-Jobs", dass diejenigen, denen man diese Ämter anträgt, nicht sofort sagen, den Job wollen sie sofort haben. Man darf auch nicht zeigen, dass man begeistert ist oder gar dieses Amt unbedingt haben will. Das gilt irgendwie als unschicklich. Dann ist man schon fast wie Donald Trump. Diesen Trend hat der frühere Papst begründet als er nach der Papstwahl gesagt hat, das Amt sei ein Fallbeil, das auf ihn herabgesaust sei. Er hat damals nicht gesagt, er sei höchst erfreut, gewählt worden zu sein und freue sich nun auf die Gestaltung. Diese Haltung hat sich dann in der Politik fortgesetzt.
domradio.de: Falls jetzt also so ein Kandidat, eine Kandidatin kommt, und sagt, man möchte das Amt gerne übernehmen und sei auch qualifiziert dafür, dann ist diese Person also schon quasi raus aus dem Rennen?
Florin: Für mich nicht. Aber meine Meinung zählt ja auch nicht. Aber insgesamt gilt das in Deutschland als unschicklich, sich so zu verhalten.
domradio.de: Wenn man sich die bisherigen Bundespräsidenten anschaut, dann sind das alles Menschen, für die der Glaube eine große Rolle spielte. Gauck ist ein ehemaliger Pastor. Rau, Heinemann waren religiöse Menschen. Vergangene Woche war die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann im Gespräch, hat aber von sich aus abgesagt. Ist das ein Zufall, dass das alles religiös geprägte Menschen sind?
Florin: Nein, das ist kein Zufall. Es ist ein Amt, in dem pastorale Neigungen zumindest zu bestimmten Zeiten nützlich sind. Der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin wird ja gerne als moralische Instanz bezeichnet. Wir verbinden immer noch stark Religion mit Ethik. Damit will ich aber überhaupt nicht gesagt haben, dass derjenige, der nicht glaubt, keine Ethik hat. Aber das ist im Moment noch die Assoziation. Wenn sich jemand zu einer Religion bekennt, dann weiß man auch als Bürger, wo der oder die steht.
domradio.de: Interessanterweise kommen auf den Posten des Bundespräsidenten fast immer Protestanten, mit Ausnahme von Wulff und Lübke.
Florin: Die Namen sagen ja schon, wo das Problem liegt. Katholiken liefern Satirikern ganz guten Stoff. Aber ich würde das konfessionell gar nicht so eng führen. Ich glaube, in der Wahrnehmung gilt der Protestantismus tatsächlich als etwas versöhnlicher, wohingegen der Katholizismus eher polarisiert.
domradio.de: Ins Gespräch gebracht wird auch der muslimische Autor und Publizist Navid Kermani. Als Islamwissenschaftler ist er auch religiös geprägt, aber eben aus einer anderen Richtung. Wäre das nicht auch eine Idee?
Florin: Das wäre eine sehr gute Idee. Wobei ich in ihm nicht in erster Linie den muslimischen Schriftsteller sehe, sondern einen Schriftsteller, der auch muslimisch ist. Er ist ein Intellektueller und jemand, der sich in politische Debatten einmischt und der Themen differenziert angeht. Das ist schon etwas Besonderes. Differenziertheit ist ja fast eine Verhaltensauffälligkeit. Aber gerade dies würde dem Amt sicher gut tun.
domradio.de: Ist Deutschland denn bereit für einen muslimischen Bundespräsidenten?
Florin: Das weiß ich nicht. Man hat auch gefragt, ob Deutschland bereit sei für eine Bundeskanzlerin. Und es hat sich ja gezeigt, dass das geht. Wenn er gewählt wird, ist das Land bereit. Umgekehrt steckt in der Frage schon fast eine Diskriminierung.
domradio.de: Jetzt leben wir in einer Gesellschaft, in der sich immer weniger Menschen als religiös betrachten. Würde man der Masse nicht eher nachkommen, wenn es einen nicht-religiösen Präsidenten gäbe?
Florin: Da gibt es eine erstaunliche Diskrepanz. Auch in der Bundesregierung sind viele identifizierbar gläubig. Die sind nicht irgendwie protestantisch, sondern sind in der Kirche engagiert. Ich glaube, dass das Amt des Bundespräsidenten auch ein zivil-religiöses Amt ist und dass man dort etwas haben will, was gar nicht so sehr im Rest der Gesellschaft verankert sein muss. Auch viele, die selber nicht konfessionell sind, ertragen oder schätzen auch, wenn ein Bundespräsident da doch etwas anders ist. Mit Religion verbindet man immer auch ein Wertefundament, ein ethisches Fundament. Eine lauter und stärker werdende Minderheit in den digitalen Medien betont genau das. Ein Drittel der Deutschen gehört keiner Konfession mehr an. Es gilt die Trennung von Kirche und Staat. Warum soll dann, wie bei Frau Käßmann in der vergangenen Woche, wieder eine Kandidatin aus der Kirche für dieses Amt infrage kommen? Ich glaube aber, eine Mehrheit der Deutschen stört das eigentlich nicht.
domradio.de: Wer wäre für Sie persönlich denn die ideale Besetzung für das Amt?
Florin: Mein heimlicher Tipp ist: Angela Merkel wird es. Das wäre eine elegante Art und Weise, Nachfolgedebatten im Amt der Bundeskanzlerin zu unterbinden. Dann würde sie auch das schaffen, was Adenauer nicht geschafft hat.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.