Der jüngste Vorschlag des niederländischen Kabinetts zur Ausweitung von Sterbehilfe hat Staub aufgewirbelt. Demnach sollen auch Menschen aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen können, die nicht schwer krank sind, ihr Leben aber als "vollendet" betrachten. Kardinal Willem Jacobus Eijk, in der katholischen Bischofskonferenz zuständig für Medizinethik, findet dafür klare Worte. "Diese Argumentation, die die Grundlage des neuen Gesetzesvorhabens darstellt, ist prinzipiell falsch", schreibt er in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Trouw".
Justizminister Ard Van der Steur und Gesundheitsministerin Edith Schippers hatten dem Parlament vergangene Woche in einem Brief einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Auch für ältere Menschen sei Autonomie wichtig, schreiben sie. Es gebe Senioren, die nicht Tag für Tag auf den Tod warten, sondern ihr Leben auf eine würdige Weise beenden wollten, so die Minister.
Warnung vor einem Druck für Ältere
"Die Autonomie des Menschen ist relativ", schreibt Eijk in seinem Artikel. Autonomie sei im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Leben zu sehen. Doch ohne Leben gebe es keine Freiheit. "Das Beenden des menschlichen Lebens ist auch das Beenden der menschlichen Freiheit", so der Kardinal. Er warnt davor, dass sich ältere Menschen mit dem Gesetz unter Druck gesetzt fühlen könnten, von Sterbehilfe tatsächlich auch Gebrauch zu machen. Wer sich als Belastung des Gesundheitswesen sehe, könne sich schuldig fühlen, wenn er sein Leben dennoch fortsetzen wolle, meint Eijk.
Auch der niederländische Oberrabbiner Binyomin Jacobs sprach sich gegen die Pläne der Regierung aus. Sie stünden nicht nur in Widerspruch zu den religiösen Ansichten über den Tod, sondern brächten auch das Risiko mit sich, Todesfälle älterer Menschen zu verursachen, die etwa an vorübergehenden Depressionen litten. Er habe immer wieder Menschen getroffen, die nach dem Tod ihres Ehepartners sterben wollten; doch nach einiger Zeit seien sie doch wieder in der Lage gewesen, ihr Leben zu genießen.
"Verletzliches Leben" schützen
Die Christlich-Demokratische Partei in den Niederlanden (CDA) kritisiert den Vorschlag als "inakzeptabel". Sie fordert die Regierung auf, das "verletzliche Leben" zu schützen. Der Vorsitzende der Partei "Christen Unie", Gert-Jan Segers, nennt die Annahme, es gebe eine freie, individuelle Wahl, einen Mythos. Aktive Sterbehilfe wirke sich auf die Familien, die Gesundheitsversorgung und letztlich auf die ganze Gesellschaft aus. Er werde keine Koalition mit einer Partei eingehen, die ein solches Gesetz umsetzen wolle. Der Vorsitzende der Sozialisten, Emile Roemer, rief die Regierung auf, dafür zu sorgen, dass Menschen würdig altern können.
Auch der deutsche Verein "Ärzte für das Leben" zeigt sich bestürzt über den Vorschlag. Der Vorsitzende Paul Cullen kritisierte insbesondere die Forderung der Minister, wer aktive Sterbehilfe leiste, müsse einen medizinischen Hintergrund haben. Als "zynisch und völlig praxisfern" bezeichnete er den Kabinettsvorschlag, einsame oder depressive Menschen von der neuen Regelung auszunehmen. Der Vorstoß in den Niederlanden zeige die Entwicklung, vor der viele bei der Diskussion über aktive Sterbehilfe in Deutschland im vergangenen Jahr gewarnt hätten. "Ist das Recht auf Leben grundsätzlich in Frage gestellt, so brechen nach und nach alle Dämme und es gibt keinen Halt mehr", so Cullen.
Für die niederländischen Parlamentarier kommt der Vorschlag überraschend. Im Frühjahr hatte eine Kommission empfohlen, die Rechtsvorschriften nicht zu ändern, da die Gruppe der Senioren, die aktive Sterbehilfe auch ohne medizinische Beschwerden wünsche, zu klein sei. Einen konkreten Gesetzesvorschlag gibt es derzeit noch nicht. Dass ein solches Gesetz vor den Wahlen in den Niederlanden im Frühjahr verabschiedet werden könnte, sei «unwahrscheinlich», sagte eine Mitarbeiterin der Zweiten Kammer.