domradio.de: Seit 2002 ist Sterbehilfe für Kranke in den Niederlanden möglich. Jetzt soll dieses Gesetz reformiert werden, so dass Senioren ohne Krankheit Sterbehilfe bekommen können. Sterbehilfe für Menschen, die nicht krank sind. Was halten sie davon?
Cornel Hüsch (stellvertretender Diözesanratsvorsitzender im Erzbistum Köln): Ich halte das für einen total gruseligen und erschreckenden Vorschlag. Denn es geht nicht mehr darum, dem Menschen zu helfen, sondern vielleicht in einer Situation, die momentan ein Gefühl verursacht, eine Entscheidung zu treffen, die dann mit dem Tode endet. Das gruselt mich richtig und da läuft es mir kalt den Rücken runter.
domradio.de: Wenn man in den Gesetzesentwurf schaut, heißt es: Der Mensch kann Sterbehilfe beantragen, wenn er nach eigenem Empfinden ein "erfülltes Leben" hatte. Wie ist das zu definieren?
Hüsch: Die Definition von "erfülltem Leben" ist völlig offen und führt zu überhaupt keiner Klärung. Wer kennt das nicht, dass es morgens gut ist und abends schlecht und umgekehrt. "Erfülltes Leben" scheint mir so eine Floskel zu sein, dass man mit dem Leben Schluss machen will. Sozusagen als lebensmüde aus dem Leben scheiden will. Und das ist für mich überhaupt keine Situation, in der würdig über das Leben und vor allem auch das Sterben gesprochen werden kann.
domradio.de: Was macht das denn mit den Senioren selber, da kommen doch dann sicher Fragen auf: Es geht mir nicht mehr so gut, falle ich meiner Familie zur Last? Da liegt der Gedanke nahe: Warum kann ich nicht einfach gehen?
Hüsch: Das sind keine Entscheidungen, die man selbst nach reiflicher Überlegung trifft, sondern es sind ja immer Situationen, in denen Menschen stehen. Es sind Verwandte da, manchmal ist auch eine Krankheit vorhanden, die vielleicht das subjektive Empfinden bei dem älteren Menschen verursacht. Er denkt dann: Ich falle jemandem zur Last. Diese Entscheidungen trifft da keiner alleine für sich und kann dann sagen: Ich habe alles erreicht und nun ist gut. Vielmehr sind es Entscheidungen, die in einer Gruppe - einer Sozialisation - getroffen werden. Ich habe Sorge, dass da alleine aus Überlegungen, dass ich niemandem zur Last fallen möchte, Entscheidungen getroffen werden, die nicht wieder umkehrbar sind. Das macht mir große Sorgen! Da lastet dann auf den älteren Menschen der Druck, eine Entscheidung, die möglich ist, zu treffen; die vielleicht sogar von Angehörigen oder Pflegepersonal erwartet wird.
domradio.de: In Deutschland sieht es anders aus: Der Bundestag hat schon vor längerer Zeit grundsätzlich Sterbehilfe abgelehnt. Was sagt das denn generell über die Politik und unsere Gesellschaft aus, dass in den Niederlanden so ein Vorschlag diskutiert wird?
Hüsch: Ich finde es furchtbar, dass die Diskussion in den Niederlanden auch noch mit dem Wort Barmherzigkeit argumentativ unterstützt wird. Politik und Gesellschaft in Holland, aber auch in Belgien und anderen Ländern, sind da auf eine schiefe Ebene geraten. Indem man das Tor zur Selbsttötung und zur jederzeitigen Verfügbarkeit über das eigene Leben öffnet, ergibt sich eine schiefe Ebene, auf der die Menschen in immer größerer Geschwindigkeit einem Druck ausgesetzt werden. Wir sind dafür, dass die Entscheidungen, gerade am Lebensende, frei und in Selbstbestimmtheit getroffen werden; dass in Verantwortung vor Gott und vor seinem eigenen Leben eine würdige Entscheidung gefunden werden kann.
Deshalb ist es uns ganz wichtig, dass Menschen, die leiden, die sterben, nicht alleingelassen werden. Das hat die Diskussion um die Initiative im Deutschen Bundestag ja gezeigt und darüber herrscht auch auch großer gesellschaftlicher Konsens. Die Menschen müssen mit ihren Chancen, ihren Möglichkeiten, aber auch in ihrem Leiden Hilfe finden in palliativer Versorgung. Dafür setzen wir uns ein. Wir wissen uns verbunden mit vielen hundert und tausend ehrenamtlichen und hauptamtlichen Männern und Frauen, die hervorragende Arbeit in Hospizen und palliativer Versorgung leisten.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.