domradio.de: Sie waren im Sommer sehr enttäuscht über das pro-Bexit-Ergebnis. Was hat sich seitdem getan?
Reverend Dr. Johannes Arens (Domkapitular an der Leicester Cathedral): Ich war im Sommer maßlos enttäuscht, weil ich damit nicht wirklich gerechnet hatte. Politisch hat sich bisher eigentlich überhaupt nichts getan. Denn der offizielle Brief von der Regierung an Brüssel ist ja noch nicht abgeschickt. Angeblich kommt der im März oder im April. Und es ist weiterhin klar, dass eigentlich niemand weiß, was passiert und auch eigentlich niemand einen Plan hat. Das, was die Regierung im Moment sehr vollmundig verkündet, ist, dass alles sehr viel besser wird, dass wir uns auf den Brexit freuen können und dass es das Ziel ist, sich völlig aus der EU herauszulösen.
Das macht vielen Leuten noch viel mehr Angst, weil die ökonomischen Konsequenzen ganz massiv sein werden. Man sieht ja, wie das Pfund in den vergangenen Wochen gewackelt hat. Es ist, glaube ich, im Vergleich zum Juni um 17 Prozent abgeruscht. Das merken die Leute mittlerweile - am Benzinpreis, an anziehenden Lebensmittelpreisen und natürlich, wenn sie in Urlaub fahren.
domradio.de: Wir lesen hier immer wieder von Kontinentaleuropäern, die sich im Moment in Großbritannien nicht mehr so richtig geduldet fühlen. Entspricht das Ihren persönlichen Erfahrungen?
Reverend Arens: Ich bekomme davon persönlich sehr wenig mit, weil ich als Deutscher, der hier sehr lange wohnt, eigentlich nie Schwierigkeiten habe. Aber ich weiß, dass polnische Leute oder Leute aus Osteuropa, aus Lettland, Litauen und so weiter, solche Gefühle haben. Die Übergriffe auf Ausländer sind massiv angestiegen in den letzten Monaten. Da hat sich die Stimmung durch den Brexit ganz böse verschlechtert. Das betrifft nicht nur Kontinentaleuropäer, sondern alle Arten von "offensichtlichen" Ausländern - also Leute, die einen anderen ethnischen Hintergrund haben und auch Homosexuelle.
domradio.de: Das heißt, wenn wir hier in Deutschland von wachsendem Nationalismus in Großbritannien lesen, ist das keine übertriebene Interpretation?
Revernd Arens: Nein, das ist nicht übertrieben. Es ist sehr offensichtlich, dass man wieder Dinge sagen kann, die man seit Jahrzehnten nicht sagen konnte. Das ist dasselbe, was im Moment in Amerika passiert - dass nationalistische Sprüche durch den Brexit salonfähig gemacht wurden, die jahrelang durch die politische Korrektheit unter der Oberfläche lagen. Zum Beispiel die absolut irrsinnige Idee, dass Betriebe, die Kontinentaleuropäer einstellen, die Zahlen dazu anzugeben haben oder, dass man irgendwie Leute kennzeichnet, die nicht britisch sind und hier wohnen. Das ist also quasi der gelbe Stern - so wurde es auch in der Presse sofort benannt. Da kommen Töne, die man hier seit Jahrzehnten nicht gehört hat.
domradio.de: Was wissen Sie zum Beispiel über diese Geschichten von deutschstämmigen, jüdischen Briten, die jetzt deutsche Staatsangehörigkeit beantragen und auf diesem Weg ihren EU-Pass behalten wollen. Ist da was dran?
Reverend Arens: Ja, natürlich, da gibt es ganz viele. Das betrifft aber nicht nur deutschstämmige, sondern alle möglichen Leute, die in irgendeiner Weise europäisch- oder irischstämmig sind. Die können aufgrund dessen einen Pass beantragen. Die meisten Deutschstämmigen in Großbritannien sind nun mal jüdischen Glaubens. Und einen deutschen Pass zu beantragen, ist attraktiv für viele von ihnen, weil man sich damit wenigstens persönlich dem Brexit verweigern kann - beziehungsweise weiterhin seine EU-Bürgerschat behält. Was vielen Leuten wahnsinnig auf die Nerven geht, ist, dass man ohne eigenes Zutun der europäischen Staatsbürgerschaft beraubt wird. Immerhin haben ja mehr als 48 Prozent gegen den Brexit gestimmt.
Das Interview führte Verena Tröster.