Sacharow-Preis geht an jesidische Menschenrechtlerinnen

"Wir sind keine Objekte"

Der Völkermord an den Jesiden durch den IS geht immer weiter. Das EU-Parlament trägt mit seiner Auszeichnung dazu bei, dass er nicht vergessen wird. Die Geschichten der Preisträgerinnen sind schwer zu ertragen.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad / © Julian Stratenschulte (dpa)
Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Sie wurden versklavt, misshandelt und vergewaltigt, aber von den Folterknechten des sogenannten Islamischen Staats ließen sie sich nicht zum Schweigen bringen: Die jungen irakischen Jesidinnen Nadija Murad Bassi Taha (23) und Lamija Adschi Baschar (19) erhalten den Sacharow-Menschenrechtspreis des Europaparlaments, wie am Donnerstag bekannt wurde. Mit knapper Not der Hölle entkommen, haben die beiden ihr Trauma in Energie verwandelt und sprechen vor internationalen Gremien und Regierungschefs über das Schicksal ihres Volkes und seiner Frauen. Von ihnen befinden sich immer noch unzählige in der Gewalt der islamistischen Terrormiliz.

Verteilt wie Nutzvieh

Am 3. August 2014 massakrierten IS-Schergen alle männlichen Bewohner des Dorfes Kotscho, dem Heimatort der beiden Preisträgerinnen. Nadija Murad Bassi Taha verlor an diesem Tag sechs ihrer Brüder und ihre Mutter, denn sie erschien den Mördern zu alt für das, was dann folgte. Alle jungen Frauen des Dorfes wurden verschleppt und als Sexsklavinnen an die Soldateska verteilt wie Nutzvieh. Ihre "Besitzer" verkauften sie nach Belieben an den nächsten Peiniger weiter, allein Lamija Adschi Baschar fünf Mal. Ihre Brüder und ihr Vater wurden ermordet, alle Schwestern dienten dem IS ebenfalls als Sexsklavinnen.

Nach dem kranken Islamverständnis der Terroristen gelten die kurdischen Jesiden, obwohl Monotheisten, als "Teufelsanbeter" und stehen noch unter den Christen. Ihr Glaube vereint islamische, christliche und altiranische Elemente und gehört seit 1.000 Jahren zum religiösen Mosaik des Nahen Ostens. Weltweit hat die Religionsgemeinschaft mehrere Hunderttausend Mitglieder. Auch in Westeuropa gibt es jesidische Gemeinden, in Deutschland leben derzeit bis zu 80.000 von ihnen. Was der "Islamische Staat" den Jesiden in Nahost in den vergangenen zwei Jahren angetan hat, kann nur als Völkermord bezeichnet werden. Sexuelle Gewalt gilt den vermeintlichen Gotteskriegern dabei als legitime Waffe.

Flucht ins Kurdengebiet

Nadija und Lamija gelang nacheinander die Flucht ins sichere Kurdengebiet - Lamija raubte jedoch eine Tretmine das Augenlicht. Zur medizinischen Behandlung kam sie nach Deutschland. Auch Nadija lebt inzwischen hier, sie kam zusammen mit ihrer Schwester über ein Hilfsprogramm des Landes Baden-Württemberg für traumatisierte jesidische Frauen nach Stuttgart.

Die 23-Jährige wurde für ihr Engagement bereits mit dem Vaclav-Hevel-Preis des Europarats geehrt, rief in Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Hilfe für die Jesiden auf und ist seit September überdies UN-Sonderbotschafterin im Kampf gegen den Menschenhandel. Unterstützt wird sie unter anderen von der US-Staranwältin Amal Clooney, der Ehefrau des Hollywoodstars.

Rückkehr nicht vorstellbar

Den jetzigen Preis, der an den sowjetischen Dissidenten und Physiker Andrej Sacharow (1921-1989) erinnert und mit 50.000 Euro dotiert ist, erhalten die beiden Menschenrechtlerinnen am 14. Dezember. Nominiert waren dafür auch der türkische Journalist Can Dündar wegen seines Einsatzes für die Pressefreiheit und der langjährige Anführer der Krimtataren, Mustafa Dschemilew.

Eine Rückkehr in den Irak könne sie sich nicht vorstellen, sagte Nadija Murad Bassi Taha unlängst der "Stuttgarter Zeitung". Von Deutschland aus will sie stattdessen für die Menschen wirken, die in den Flüchtlingslagern leben oder immer noch unter der Gewalt des IS zu leiden haben. "Ich will, dass diese herzlosen Menschen zur Rechenschaft gezogen werden", so ihr Ziel. "Wir Jesiden sind keine Objekte, die sie vergewaltigen können, wie sie möchten."

 

Andrej Sacharow / © UPI (dpa)
Andrej Sacharow / © UPI ( dpa )
Quelle:
KNA