Deutschland feiert das Fest Allerheiligen, es steht in den Kalendern - auch für Nichtchristen. Berufstätige und Schulkinder freuen sich über den freien Tag am 1. November. Aber ist Allerheiligen nicht überholt, ist nicht Halloween angesagt? Ich denke Nein. Vielleicht gewinnt Europa sogar wieder Fahrt, wenn es sich der Heiligen erinnert, die es geprägt haben, durch die es sich von Asien und Afrika und auch Amerika unterscheidet.
Viele Heilige haben die Kultur Europas ganz wesentlich geprägt. Hier ein historischer Kulturspaziergang zum Feiertag: Am Anfang steht der heilige Benedikt von Nursia. Er verließ das dekadente Rom um das Jahr 480, lebte zunächst als Einsiedler, Gleichgesinnte entdeckten ihn. Sie gründeten Hunderte von Klöstern, beteten und arbeiten, rodeten Wälder, bauten Felder an, schrieben Bücher, sangen wie die Engel.
Eine neue Kultur
Klöster von Irland bis Spanien und zum Balkan schufen den Anfang einer neuen Kultur. Als die Welt wieder zurückfiel, reflektierten Dominikanermönche an Universitäten über den Sinn des christlichen Glaubens und brachten ihn ins universitäre Leben. Franz von Assisi und seine Kuttenbrüder entdeckten in den Armen die ersten Freunde Gottes und führten eine verbürgerlichte Kirche zum Mann aus Nazareth zurück.
Eine heilige Brigitta von Schweden aus königlichem Haus brachte die Frauen ins gesellschaftliche Spiel, die heilige Hildegard ins wissenschaftliche Feld, die heilige Elisabeth von Thüringen ins soziale Leben. Zu Beginn der Neuzeit lehrte der heilige Ignatius von Loyola die Menschen, auf ihr eigenes Gewissen zu hören; der heilige Vinzenz von Paul organisierte die Idee der Krankenpflege neu; die heilige Mary Ward setzte Schulbildung für Mädchen durch. Im 20. Jahrhundert gehörten Heilige zu den schärfsten Kritikern von Ideologien wie Nationalsozialismus und Kommunismus: Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp, Edith Stein, Fritz Gerlich und viele Andere.
Europa und seine christlichen Heiligen
Es wäre mehr als bedauerlich, wenn Europa seine christlichen Heiligen vergäße. Die Europäische Union verliert derzeit ihre Überzeugungskraft. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele Europäer nicht mehr wissen, warum es den Menschen im alten Europa seit Jahrhunderten - nicht erst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - in Bildung, im Sozialbereich, in Literatur, Kunst und auch in der Demokratie so gut geht.
Christliche Heilige haben das Evangelium von der Gerechtigkeit und Liebe verstanden, haben ernst damit gemacht, dass jeder Mensch ein einmaliges Geschöpf Gottes ist, dass Gott den Frieden will und nicht den Krieg, dass Frauen den Männern gleichberechtigt sind. Auch wenn die Kirchenleitungen öfter hinterher hinkten, so waren doch die christlichen Vordenker die eigentlichen Gründer des Europas, das wir auch heute noch suchen.
Papst Franziskus und Europa
Papst Franziskus hat es vor dem Europaparlament am 25. November 2014 auf den Punkt gebracht: "Ein Europa, das nicht mehr fähig ist, sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen, ist ein Europa, das in Gefahr gerät, allmählich seine Seele zu verlieren und auch jenen humanistischen Geist, den es doch liebt und verteidigt. ... Ich halte in diesem Sinne nicht nur das Erbe, welches das Christentum in der Vergangenheit der soziokulturellen Gestaltung des Kontinents hinterlassen hat, für grundlegend. Sondern ich wünsche auch einen Beitrag, den das Christentum heute und in der Zukunft zum Wachstum Europas zu leisten gedenkt. Dieser Beitrag stellt keine Gefahr dar für die Laizität der Staaten und für die Unabhängigkeit der Einrichtungen der Union, sondern eine Bereicherung."
Es ist höchste Zeit, Allerheiligen wieder gebildet zu feiern. Weniger Weise können sich mit Halloween begnügen und Kürbisfratzen schnitzen.