domradio.de: Immer mehr werden die Gemeinsamkeiten der Kirchen betont - und das im Lutherjahr, dem Gedenken an die Reformation. Wachsen evangelische und katholische Christen wieder zusammen, nachdem sie sich vor 500 Jahren getrennt haben?
Bischof Ulrich Neymeyr (Bischof von Erfurt): Es gibt ja schon einen längeren Weg, aufeinander zuzugehen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Dies zeigt sich auch im theologischen Bereich etwa in der Rechtfertigungslehre oder bei Gottesdiensten und im caritativen Bereich. Von daher bin ich froh, dass das Reformationsgedenken nicht die beiden Kirchen auseinanderbringt, sondern dass bei vielen ökumenischen Gottesdiensten - auch bei "Healing-of-memory-Gottesdiensten" - miteinander über die Reformation nachgedacht wird und dieses Jahr auch miteinander als ein Christusjahr begangen wird, bei dem man sich auf den gemeinsamen christlichen Glauben besinnt. Das ist das gemeinsame Fundament, auf dem evangelische und katholische Christen stehen.
domradio.de: Die Organisatoren haben ein großes Programm geplant und Katholiken explizit dazu eingeladen. Mit welchen Erwartungen gehen Sie in dieses Reformationsgedenken?
Neymeyr: Ich hoffe, dass die vielen ökumenischen Veranstaltungen und Gottesdienste das Miteinander der beiden Konfessionen stärkt. Wir haben hier in Thüringen, eingebunden in den großen evangelischen Kirchentag in Berlin, sogenannte "Kirchentage auf dem Weg", kleinere Kirchentage in Erfurt, Jena und Weimar. Das sind Veranstaltungen, die vor Ort von evangelischen und katholischen Christen vorbereitet und mitgestaltet werden und das ökumenische Miteinander dort auf jeden Fall stärken und voran bringen werden.
domradio.de: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hat zu Beginn der EKD-Synode gesagt: "Das Ziel ist vielmehr versöhnte Verschiedenheit". Welches ökumenische Ziel haben Sie vor Augen?
Neymeyr: Für mich ist das ökumenische Ziel, zunächst einmal weiter miteinander zu gehen. Ob wir die Kircheneinheit erreichen werden, weiß ich nicht. Da bin ich eher skeptisch, weil es trotz aller Gemeinsamkeiten natürlich auch Unterschiede gibt, die es nach wie vor rechtfertigen, dass es zwei verschiedene kirchliche Organisationen gibt. Das betrifft den theologischen Bereich, vor allen Dingen in der Ämterfrage, genau so aber auch verschiedene Einschätzungen in moralischen und bioethischen Fragen.
domradio.de: Ein gemeinsames Abendmahl ist noch nicht möglich. Sehen Sie aber die gemeinsame Eucharistie vielleicht doch noch irgendwo in weiter Ferne?
Neymeyr: Die sehe ich wirklich in weiter Ferne, weil sie eigentlich aus unserer katholischen Sicht ein Ergebnis ist. Die Voraussetzung für gemeinsame Eucharistie ist auch eine Kirchengemeinschaft, eine Kirchenunion. Wir teilen dieses Verständnis mit der großen Familie der orthodoxen Kirchen, für die es auch selbstverständlich ist, dass Eucharistie nicht nur Gemeinschaft mit Jesus Christus bedeutet, sondern auch Gemeinschaft mit einer ganz konkreten Kirche. Man geht nur dort zur Kommunion und hat nur in der Kirche Gemeinschaft, der man auch angehört oder mit der man offiziell uniert ist. Das ist ein Modell, das auch mit orthodoxen Kirchen praktiziert wird. Wir merken jetzt grade bei den Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen und orthodoxe Christen sind, dass sie sehr sorgfältig nachfragen, ob ihre Kirche mit der römisch-katholischen Kirche uniert ist. Dann nehmen sie am Gottesdienst teil, aber nicht an der Kommunion.
Das Interview führte Tobias Fricke.