Das sagte Generalsekretär Georg Cremer dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es ist nicht verkehrt, engagiert über soziale Probleme zu sprechen und über Lösungen zu streiten. Aber dabei müssen wir Nüchternheit, Faktentreue und Empathie für die Armen zusammenbringen", so Cremer weiter. Es sei unethisch, "aus vermeintlich anwaltschaftlichem Engagement die Wirklichkeit krass zu überzeichnen."
"Empörung nutzt den Armen nichts"
Cremer, der jüngst das Buch "Armut in Deutschland" veröffentlicht hat, warnte mit Nachdruck vor den Folgen einer unseriös zugespitzten Debatte. Dem promovierten Volkswirt zufolge verängstigt und entmutigt der Streit über die Interpretation von Sozialdaten weite Teile der Gesellschaft und ist somit kontraproduktiv: "Die aufgeregte Empörung nutzt den Armen nichts. Wir müssen über Lebenslagen von Risikogruppen sprechen und über konkrete politische Schritte."
Der Generalskretär verwies beispielhaft auf das Jahr 2003, als die Grundsicherung im Alter eingeführt wurde. Der Rückgriff auf das Einkommen der Kinder, den die vorherige Sozialhilfe kannte, wurde seinerzeit abgeschafft. Bis dahin hatten viele alte Arme keine Sozialhilfe beantragt, um ihre Minirenten aufzustocken, weil sie ihren Kindern nicht zur Last fallen wollten. "Durch die Reform stiegen die Empfängerzahlen. Das wurde dann der Politik als Zunahme sozialer Kälte um die Ohren gehauen - auch von Vertretern aus den Wohlfahrtsverbänden, die diese Reform gefordert hatten."
Armut bundesweit vergleichsweise stabil
Cremer zufolge ist die Armut bundesweit vergleichsweise stabil. Es gebe entgegen der landläufigen Meinung keinen kontinuierlichen Abstieg weiter Teile der Mittelschicht nach unten. "Wer behauptet, der Sozialstaat erodiere und werde kaputtgespart, trägt dazu bei, dass sich berechtigte Sorgen in der Mitte bis hin zur Panik steigern."
Cremer listete zudem mehrere sozialpolitische Schritte auf, die aus der Sicht seines Verbandes im Kampf gegen die Armut sinnvoll wären, unter anderem die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes um etwa 60 bis 80 Euro sowie eine einkommensunabhängige Kindergundsicherung.
Werbung für sozialen Arbeitsmarkt
Zugleich warb er für "einen sozialen Arbeitsmarkt, der Teilhabe sichert, auch wenn der Sprung in den ersten Arbeitsmarkt vorerst nicht erreichbar ist."
Aber der Experte kennt auch die Folgen einer Regelsatzerhöhung: "Wir hätten deutlich mehr Hartz-IV-Empfänger. Und wenn die Grundsicherung im Alter ebenfalls angehoben wird, bekämen auch mehr Bezieher von Minirenten ergänzende Hilfe." Hier liege ein strukturelles Problem: "So wie die Debatte in Deutschland geführt wird, würde das wieder als Anstieg der Armut und als Versagen des Sozialstaats gebrandmarkt. Da bin ich mir ziemlich sicher."