Islamexperte zu Buchverteilungen von Salafisten

Mittel zum Zweck

Die salafistische Organisation "Die wahre Religion" verteilte in deutschen Städten den Koran - und wurde verboten. Nun gibt es das neue Bündnis "We love Mohammed", das eine Biografie des Propheten ausgibt. Doch was steckt dahinter?

Erst wurde der Koran verteilt, nun eine Mohammed-Biografie / © Julian Stratenschulte (dpa)
Erst wurde der Koran verteilt, nun eine Mohammed-Biografie / © Julian Stratenschulte ( dpa )

domradio.de: Was spricht dafür, dass es sich bei der Aktion "We love Mohammed" um eine Nachfolgeorganisation der verbotenen Organisation "Die wahre Religion" handelt?

Dr. Thomas Lemmen (Experte für christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln): Es gibt sicherlich personelle Vernetzungen von Menschen, die vorher bei "Der wahren Religion" engagiert waren und nun in dieser Aktion tätig sind. Da kann man sicherlich einige Bezüge feststellen. Ob es sich tatsächlich um eine Nachfolgeorganisation handelt, wird sich herausstellen. Dafür spricht, dass Pierre Vogel dabei ist. Die neue Aktion hat nun nichts organisatorisch mit "Der wahren Religion" zu tun, ist aber an demselben Thema dran, nämlich der Verbreitung salafistischen Gedankenguts.

domradio.de: Was kann denn in diesem Zusammenhang an einer Mohammed-Biographie gefährlich sein?

Lemmen: Im Grunde nichts. Das Buch wird ja nur verteilt, um einen Zugang zu Menschen zu bekommen. Vorher ist der Koran verteilt worden, jetzt die Mohammed-Biographie. In beiden Büchern finden sich lesenswerte und weniger lesenswerte Dinge. Aber es geht darum, Menschen zu erreichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und sie langfristig an eine Ideologie zu binden. Es geht ja nicht um den Islam, sondern um Salafismus - eine Form des islamistischen Extremismus.

domradio.de: Sie haben es erwähnt, mit bei der Aktion am Wochenende war der bekannte Salafistenprediger Pierre Vogel. Was ist das für ein Typ?

Lemmen: Pierre Vogel ist eine der Gallionsfiguren des Salafismus in Deutschland. Er ist ein Wanderprediger, der nichts anderes zu tun hat, als durch die Städte zu ziehen und öffentlich für sein Anliegen, seine Ideologie zu werben. Er ist Rheinländer, kommt hier aus der Region und hat eine katholische Schule besucht. Dann war er Boxer und hat schließlich ein Bekehrungserlebnis gehabt, das ihn zum  - wie er glaubt - wahren Islam geführt hat. Der besteht in der Abgrenzung von anderen Ideologien und Religionen.

domradio.de: Wenn es sich herausstellen sollte, dass "We love Mohammed" eine Nachfolgeorganisation von "Die wahre Religion" ist, was bedeutet das dann für die Bekämpfung von Salafisten?

Lemmen: Es ist schwierig, salafistische Organisationen wirkungsvoll zu bekämpfen, weil sie nicht in Form von Moscheevereinen und fest erkennbaren Strukturen organisiert sind, sondern lose Netzwerke von Personen sind, die eine Ideologie verbindet. So etwas ist einfach organisatorisch schwieriger zu erkennen und demzufolge auch von den Sicherheitsbehörden schwieriger zu bekämpfen.

domradio.de: Das bedeutet, es wächst immer wieder etwas nach, was man nicht juristisch oder mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen kann?

Lemmen: So ist es. Wir hatten im Jahr 2001 das Verbot des Kalifat-Staates. Da sind an einem Tag rund 16 Moscheen verboten worden, die offenkundig zu diesem Bündnis dazu gehörten. "Die wahre Religion" ist jetzt verboten worden. Da hat man Vereinsräumlichkeiten geschlossen und Material beschlagnahmt. Aber die Menschen, die einmal dazugehört haben, die existieren ja weiter, und die versuchen nun, ihre Ideologie auf anderen Wegen zu verbreiten. Dabei treten sie dann eben nicht mehr als "Die wahre Religion" auf, sondern als Initiative XYZ. Das muss man erst einmal erkennen, um dagegen handeln zu können.

domradio.de: Sie arbeiten hier im Erzbistum Köln im Bereich christlich-islamischer Dialog. Was passiert denn in der Praxis? Wie gehen Christen und Muslime gemeinsam gegen Salafisten vor?

Lemmen: Es gibt in der Tat einige bemerkenswerte und nachahmenswerte Beispiele, etwa in Solingen oder Bonn. Dort haben sich Christen und Muslime gemeinsam gegen den Missbrauch der Religion für politische Zwecke zusammengeschlossen. Dort hat es auch gemeinsame Aktionen gegen jede Form des Extremismus gegeben - also nicht nur gegen Salafismus, sondern auch gegen Rechtsextremismus, als bekannt wurde, dass extremistische Personen an diesen Orten ihr Unwesen trieben. Gemeinsam hat man Stellung bezogen, sich distanziert und sich mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammengeschlossen, um mit einer Stimme gegen Extremismus aufzutreten.

domradio.de: Und das war erfolgreich?

Lemmen: Man hat damit nicht den Salafismus aus der Welt schaffen können, aber man hat damit ein deutliches Zeichen setzen können - beispielsweise in Solingen mit Unterstützung der Stadt. Dort haben alle gesellschaftlich relevanten Gruppen gesagt, Extremismus habe in ihrer Stadt keinen Platz.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR