Pater Hagenkord zum anstehenden Referendum in Italien

Renzis Gegner zeigen ihre Muskeln

Neue Strukturen sollen Italiens Gesetzgebung vereinfachen. Mit dem Referendum am Sonntag will Ministerpräsident Renzi Italien reformieren. Pater Bernd Hagenkord von Radio Vatikan fürchtet jedoch, dass Renzi abgestraft wird.

Luftballons in den Nationalfarben Italiens - Vor dem Verfassungsreferendum in Italien / © Lena Klimkeit (dpa)
Luftballons in den Nationalfarben Italiens - Vor dem Verfassungsreferendum in Italien / © Lena Klimkeit ( dpa )

domradio.de: Kann man diese Abstimmung so ein bisschen mit der Brexit-Situation vergleichen? Das Volk ist unzufrieden und will einen Denkzettel abgeben?

Bernd Hagenkord (Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan): Es ist etwas komplexer als beim Brexit-Votum. Es gibt viele Bedenken gegenüber der Reform. Aber es gibt auch die Frage: Wird der Ministerpräsident sich halten?

domradio.de: …, weil dieser immer wieder gesagt hatte, er werde zurücktreten, sollte das "Nein" gewinnen…?!

Hagenkord: Daher werden viele Wähler, die gegen Renzi sind und ihn nicht mögen, gegen das Referendum stimmen. Also das Ganze ist etwas komplexer als das Brexit-Votum.

domradio.de: Man liest davon, dass das ganze Land quasi politisch durch ein sehr kompliziertes Gesetzgebungsverfahren im Moment lahm gelegt ist. Ist das wirklich so schlimm?

Hagenkord: Ja, das kann man schon so sagen. Das italienische Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Senat und der Abgeordnetenkammer. Beide Kammern sind im Gesetzgebungsverfahren absolut gleichberechtigt. Wenn wir "Senat" sagen, dann denken wir an etwas ähnliches wie den Bundesrat in Deutschland.

domradio.de: Also Sie meinen, im Unterschied zu Österreich und Deutschland und den bundesstaatlichen Prinzipien, ist der Senat in Italien keine Bundeskammer, sondern eine zweite gleichberechtigte Kammer des italienischen Parlaments?

Hagenkord: Alle Gesetze müssen in gleicher Fassung von der Abgeordnetenkammer und dem Senat genehmigt werden. Das ist ein ewiges Pingpong-Spiel. Es dauert einfach viel zu lange, um einigermaßen ordentlich und schnell Gesetze durchzubringen. Meistens muss man auch unheimlich viele Kompromisse eingehen. Um das zu beschleunigen und aus dem Senat eine Länderkammer zu machen, soll es die Verfassungsänderung geben.

domradio.de: Kern der Reform ist die Entmachtung der zweiten Kammer des Italienischen Parlaments. Es sollen nur noch 100 Senatoren übrig bleiben, die aus den Regionen entsandt werden. Mit vielen Fragen soll sich der Senat in Zukunft nicht mehr befassen...

Hagenkord: ... Das Ganze hat aber auch Konsequenzen. Es gibt Stimmen, die sagen, das ist nicht gut, das macht die Exekutive - also die gesetzgebende Gewalt - zu stark und das Parlament zu schwach. Es gibt auch ein Wahlgesetz, das ist schon verabschiedet worden. Das besagt, dass ein Sieger mehr als 50 Prozent der Sitze bekommt, egal ob er mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen hat. Diese Kombination macht einige Leute nervös.

domradio.de: Wie bewerten Sie das?

Hagenkord: Ich halte das für eine Bewegung Richtung mehr Stabilität. Wir haben ja 50 Regierungen seit dem Krieg gehabt. Jetzt ein bisschen Stabilität reinzubringen, das wäre schon hilfreich.

domradio.de: Warum gibt es eine solche Unzufriedenheit?

Hagenkord: Italien zahlt mehr in die EU ein, als es rausbekommt. An sich geht es Italien wirtschaftlich nicht so schlecht. Auf der anderen Seite ist all das Geld im Norden des Landes angelegt. Der Süden hat relativ wenig davon. Es gibt ein sehr starkes Gefälle. Etwas überspitzt gesagt: Die im Norden wollen nichts abgeben und die im Süden wollen mehr haben.

domradio.de: So eine wirtschaftliche Lage wirkt sich auch politisch aus, oder?

Hagenkord: Politisch gibt es eine starke Zuspitzung von populistischen Parteien. Es gibt die ausländerfeindliche Lega Nord, "Fratelli d `Italia – Alleanza Nazionale" und die Fünf-Sterne-Partei, die derzeit gegen den Euro Wahlkampf macht. Es ist schwer, sie politisch rechts oder links einzuordnen. Da ist innenpolitisch ein großes Chaos in Italien.

domradio.de: Woher kommen diese Entwicklungen?

Hagenkord: Wenn man durch die Straßen von Rom geht, dann weiß man, warum. Da passiert viel zu wenig, was Reparaturen und Dienstleistungen angeht. Viele Menschen haben einfach die Nase voll. Ihre einzige Möglichkeit ist, ihre Wahlstimme abzugeben. Das wird dann wohl am Sonntag dazu führen, dass das Referendum abgelehnt wird. Ich hoffe es zwar nicht, aber es wird wahrscheinlich so kommen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Bernd Hagenkord / © Radio Vatikan (dpa)
Bernd Hagenkord / © Radio Vatikan ( dpa )

Matteo Renzi / © Angelo Carconi (dpa)
Matteo Renzi / © Angelo Carconi ( dpa )
Quelle:
DR