Caritas International zur Lage im Südsudan

"Die katholische Kirche könnte mehr tun"

Dem jüngsten Staat der Erde geht es sehr schlecht, sagt Oliver Müller von Caritas International. Ein Bürgerkrieg, die marode Wirtschaft und eine verheerende Dürre lassen die Menschen im Südsudan leiden. Auch die Kirche könnte mehr tun.

Menschen im Südsudan / © Gregor Fischer (dpa)
Menschen im Südsudan / © Gregor Fischer ( dpa )

domradio.de: Als der mehrheitlich christliche und animistische Südsudan sich vor fünf Jahren vom muslimischen Norden, also dem Sudan, trennte und offiziell als autonomer Staat anerkannt wurde, war die Hoffnung bei vielen groß. Auf den Punkt gesagt: Was ist da so grandios danebengegangen?

Oliver Müller (Leiter von Caritas International): Die Hoffnungen waren wirklich sehr groß und das Land hatte eigentlich gute Ausgangsvoraussetzungen. Die christliche Bevölkerungsmehrheit hatte sich jahrelang für ihre Unabhängigkeit gegenüber dem islamischen Norden des Sudan ausgesprochen und für eine Selbständigkeit gekämpft. Dann war es endlich auch gelungen, aber bereits bald danach sind stammesbedingte Konflikte ausgebrochen. Es gibt zwei Haupt-Ethnien, die miteinander verfeindet sind. Es gibt aber auch noch weitere Ethnien. Aber letztendlich geht es um Macht, Einfluss und Ressourcen. Der Südsudan müsste eigentlich kein armes Land sein, weil er Ölreserven hat. So gesehen könnte es den Menschen weit besser gehen. Aber der Kampf um die Ölreserven und die Macht hat das Land schnell in einen Strudel der Gewalt und der bewaffneten politischen Auseinandersetzungen geführt.

domradio.de: Das heißt, man hat es dort mit einem Bürgerkrieg zu tun, bei dem die Zivilisten zwischen die Frontlinien geraten?

Müller: Genau so ist es. Die normale Bevölkerung leidet in unglaublicher Weise. Der Südsudan hat circa elf Millionen Einwohner, von denen etwa drei Millionen vor Gewalt aus ihren Heimatdörfern geflohen sind. Über eine Millionen Menschen sind in die Nachbarländer geflüchtet. Fast die Hälfte der jetzigen Bevölkerung kann nur noch mit Lebensmittelhilfen von außerhalb überleben. Wir haben es mit einem in Teilen zerstörten Land zu tun, das ohnehin - trotz des Öls, das es eigentlich hätte-  eines der ärmsten Länder der Welt ist. Es gibt extrem wenige Ärzte. In dieser Mischung aus dem Bürgerkrieg der bewaffneten Parteien, einer sehr schwachen Infrastruktur, sowieso schon sehr großer Armut und einem geringen Bildungsstandard kam nun auch noch eine verheerende Dürre dazu. Das war der Auslöser für die humanitäre Katastrophe, die wir momentan dort erleben.

domradio.de: Sie haben die Gewalt gegen Zivilisten angesprochen. Man hört von Massenvergewaltigungen. Was haben Sie davon mitbekommen?

Müller: Das ist ein riesiges Problem - vor allem für die Menschen, die auf dem Land leben. Als ich Dörfer im Umkreis der Hauptstadt Juba besucht habe, wurde mir immer wieder berichtet, wie nachts bewaffnete Gruppen - manchmal sind es auch Soldaten der Regierungsarmee - ins Dorf kommen und sich nehmen, was sie brauchen. Vor allem werden aber Frauen vergewaltigt. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein riesiges Thema. Die Täter haben allem Anschein nach praktisch nicht mit Strafen zu rechnen. Das wird überhaupt nicht geahndet. Das heißt, die Opfer haben nahezu keine Möglichkeit, irgendwo hinzugehen und eine Anzeige zu erstatten. Das führt natürlich zu einer unglaublichen Unsicherheit - vor allem bei Frauen und Mädchen - und zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen.

domradio.de: Was für eine Art Hilfe leistet Caritas International vor Ort? Ist das noch eine Nothilfe oder haben Sie auch andere Projekte?

Müller: Es sind eigentlich zwei Dinge gefragt. Das ist zum einen die Nothilfe - aus den Gründen, die ich gerade schon erwähnt habe. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass angesichts dieser desaströsen politischen Gesamtverhältnisse auch noch die Wirtschaft zusammengebrochen ist. Das Land hatte zuletzt über 800 Prozent Inflation, was ein enormer Wert ist. Was wir als Caritas International - wie auch viele andere Hilfsorganisationen - im Moment tun, sind lebensrettende Hilfen dorthin zu bringen. Das sind Lebensmittel, Medikamente und sauberes Trinkwasser.

Gleichzeitig ist es aber genauso wichtig, die Menschen nicht in eine Abhängigkeit von der Hilfe von außen zu bringen, sondern den Kleinbauern - und das sind immerhin 85 Prozent der südsudanesischen Bevölkerung - zu ermöglichen, auf ihrem Land zu bleiben und selber wieder etwas anzubauen. Von daher sind die ernährungssichernden Hilfen, wie die Ausgabe von Saatgut, ein zweiter ganz wichtiger Punkt. Schließlich muss man auch an die Kinder denken. Drei Viertel der Bevölkerung im Südsudan können weder lesen noch schreiben. Inzwischen ist die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre alt. Es gibt kaum Schulen auf dem Land, auch nicht in den Flüchtlingslagern. Hier versuchen wir, für schulische Bildung zu sorgen, um den Kindern eine Perspektive zu bieten. Ohne ein Mindestmaß an Bildung werden sie keine Zukunftschance haben.

domradio.de: Welche Rolle spielt denn die katholische Kirche vor diesem Hintergrund?

Müller: Die katholische Kirche vereint eine große Zahl an Gläubigen hinter sich. Die Kirche und auch die vielen Orden, die im Südsudan arbeiten, sind sicher ein ganz wichtiger Akteur in der humanitären Hilfe. Die katholische Kirche ist aber auch eine moralische Autorität. Sie genießt weiterhin Anerkennung. Das durfte ich selber erleben, als ich mit unseren Projektpartnern - das sind Ordensschwestern - unterwegs war. In vielen kniffligen Situationen ist es den Ordensschwestern gut gelungen, die Lage zu entwirren und beispielsweise aus einer Straßensperre wieder gut herauszukommen. Aber da wäre für die katholische Kirche sicher auch noch mehr möglich. Es steht im Raum, dass der Papst das Land im kommenden Jahr besucht. Ein Termin steht allerdings noch nicht fest. Davon würde ich mir aber erhoffen, dass das den Friedensverhandlungen und einer friedensfördernden Rolle der katholischen Kirche kräftigen Rückenwind verleiht.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Oliver Müller (Caritas international) (dpa)
Oliver Müller (Caritas international) / ( dpa )
Quelle:
DR