Buchautor plädiert für das Üben von Versöhnung

"Vergebung muss geschenkt werden"

Versöhnung ist in der Adventszeit ein wichtiges Thema. Aber wie schafft man es, wirklich auf sich und andere zuzugehen?  Ein domradio.de-Interview mit Radiomoderator und Buchautor Uwe Schulz.

Menschen reichen sich durch Grenzzaun die Hände / © Jim West (KNA)
Menschen reichen sich durch Grenzzaun die Hände / © Jim West ( KNA )

domradio.de: Sie haben sich für dieses Buch („Versöhnung: Geschichten aus dem ganzen Leben“) mit zwölf Geschichten rund um Versöhnung befasst. Wie würden Sie das Wort „Versöhnung“ definieren?

Uwe Schulz (Radiomoderator und Buchautor): Das klingt jetzt schon so gespreizt mit einer Definition anzufangen. Ich würde es gar nicht definieren wollen, sondern einfach sagen: Es ist etwas, was uns im Leben immer wieder begegnet. Komme ich mit mir selber klar? Komme ich mit meinem Nachbarn klar? Komme ich mit Leuten klar, die mir sehr unsympathisch sind?

Das sind für mich alles Fragen nach Versöhnung. Das ist für mich die Definition. Wo hast du das Gefühl im Leben: Hier stimmt etwas nicht? Wo gibt es entweder in mir eine Zerrissenheit oder in der Beziehung zu anderen Menschen? Eine Zerrissenheit bis hin zu – wenn man an die Existenz Gottes glaubt – der Frage: Was stimmt nicht zwischen mir und Gott? Immer wieder ist das die Frage: Bin ich versöhnt mit mir, mit anderen und mit Gott?

domradio.de: Was sind das für Geschichten, die ich in dem Buch finde?

Schulz: In der Regel solche, die mir im Laufe meines inzwischen 50-jährigen Lebens begegnet sind: Entweder in meiner eigenen Vita oder weil mir andere Menschen erzählen, was sie an Konflikten erleben. Es gab zwei gute Freundinnen, die mir gesagt haben: ich habe eine so schlimme Kindheit erlitten – mit seelischer Grausamkeit vor allem von Seiten des Vaters. Ich weiß nicht, ob ich das bis zu seinem Lebensende verarbeiten kann – geschweige denn, darüber in die Versöhnung kommen kann.

Eine der beiden Freundinnern hat mir dann erzählt, dass sie wirklich ans Sterbebett ihres Vaters geeilt ist – auf Drängen ihres Bruders – und hat sich mit diesem Vater versöhnt. Diese Geschichte erzähle ich. Ich erzähle aber auch andere Geschichten von Menschen, die ins sich selbst eine gewisse Zerrissenheit spüren. Da kann ich von mir selbst sagen: Ich zum Beispiel bin jemand, der sich oft unsicher fühlt und ich habe auf einer Afrikareise erlebt, wie existenziell diese Angst sein kann, wenn plötzlich vor dem liegen gebliebenen Auto sich ein mächtiger Elefantenbulle aufbaut und Anstalten macht, dieses Auto vielleicht anzugreifen. Da habe ich ganz neu erfahren, sich auch mit Situationen zu versöhnen, die katastrophal werden können. Und zu sagen: Dein Wille geschehe. Ich versöhne mich jetzt damit.

domradio.de: Das ist vermutlich die schwierigste Frage,die man überhaupt stellen kann: Wie funktioniert das?

Schulz: Ja, das stimmt. Es funktioniert mit immer wieder neu üben. Ich glaube nicht, dass wir das ein für alle mal haben. Dass das wie so eine Grundqualifikation wäre. Sondern, dass ich mir das auch schenken lassen muss. Ich rede in diesen Geschichten über teilweise richtig schlimme Verletzungen, die wahrscheinlich Psychologen Traumata nennen würden. Ich glaube wirklich, dass uns letztlich Liebe und die Fähigkeit auch anderen wirklich zu vergeben, geschenkt werden muss. Weil wir das selbst auch als Geschenk erfahren. Wir hätten jeden Grund von Gott ständig einen auf die Mütze zu bekommen, weil wir uns gegen seinen Willen stemmen, weil wir das Leben immer auf eigene Rechnung anlegen. So, wie er mit uns umgeht, verdienen es andere Leute auch von uns so behandelt zu werden – nämlich voller Versöhnung.

domradio.de: Erklären Sie die Situation mit dem Elefanten nochmal näher.

Schulz: Sie kennen aus Ihrem eigenen Leben sicherlich Momente, wo Sie sagen: Was zum Henker soll das bitteschön? Meine Frau muss sich zum Beispiel mit einer unangenehmen Diagnosen zu ihrem Gesundheitszustand auseinandersetzen. Man muss nicht fromm sein, um zu fragen: Was ist der Sinn? Warum geschieht mir das? Ist das gerecht? Ich klage an.

Für mich heißt Versöhnung in so einem Moment zu sagen: Kann ich damit umgehen? Kann ich damit leben? Gibt es mir vielleicht sogar einen neuen Blick auf mein Dasein? Auf das, was ich will und hoffe? Versöhnung heißt dann zu sagen: Gott, ich nehme auch das aus deiner Hand. Deswegen mag ich auch sehr gerne einen Vers von Bonhoeffer aus dem Gedicht "Von guten Mächten". Da heißt es: "Und reichst du uns den schweren Kelch, des bittern. Des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, So nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern." Aus deiner guten und geliebten Hand. Das heißt: Auch die schlimmen Seiten des Lebens  irgendwann annehmen zu können, ist für mich Versöhnung – mit sich selbst und mit Gott.

domradio.de: Es sind nicht wahre Geschichten, aber wahrhaftige Geschichten, was heißt das?

Schulz: Mir war wichtig, dass ich Bezüge auf eigene Erfahrungen nehme oder auf Erfahrungen, die ich teilen durfte, weil sie mir andere Menschen anvertraut haben. Ich habe dann aber die Mühe gemacht, die Geschichten so zu verfremden, damit die Menschen nicht identifizierbar sind. Während wir hier reden, liegt einer meiner besten Freunde in einem Klinikum und wartet auf eine Lebendspende für eine neue Niere. Diese Geschichte erzähle ich. Auch darüber musste er sich versöhnen. "Lieber Gott, was soll das?" Ein sehr frommer, herzensguter, lieber Freund muss sich die Frage stellen. Ich erzähle die Geschichte so, dass selbst die engsten Freunde nur mit Mühe, dass es seine Geschichte ist. Aber mir war so wichtig zu erzählen, wie kommt seine Frau, die mit ihrem Ehemann eine schwere Geschichte hatte, dazu ihre Niere an diesen Mann zu verschenken. Diese beiden Ebenen von Versöhnung – also mein Freund, der sich seinem Schicksal des Nierenversagens abfinden muss und die Frau, die sich fragen muss: "Verdient dieser Mann mein kostbarstes Organ?" Das fand ich so reizvoll, das hat mich so animiert, das gibt mir so viel Halt und Trost, dass ich diese Geschichte erzählen wollte.

domradio.de: Wissen die Beiden, dass sie in dem Buch vorkommen?

Schulz: Ich habe mal angedeutet: "Ich glaube, das muss ich mal literarisch verarbeiten." Da haben sie gelächelt. Dann haben sie es gesehen, als ich ihnen das Buch geschenkt habe. Auch da haben sie wieder gelächelt und gesagt: "Man muss schon aufpassen, was man dir erzählt." Ich glaube, es ist gelungen, sie gut genug zu tarnen.

domradio.de: Es sind nicht nur Geschichten aus Ihrem persönlichen Leben, sondern es sind auch Geschichten, die Sie als Journalist betreffen. Wir erinnern uns: Im vergangenen Jahr gab es das Kirchen-Attentat in Charleston in den USA, wo ein junger Mann in eine Kirche gerannt ist und Menschen erschossen hat. Warum haben Sie das aufgegriffen?

Schulz: Ich sitze in einem schönen Ferienhaus an der Nordseeküste und schaue, weil ich ein bisschen kränkle, um diese Zeit schon am Nachmittag fern und sehe, wie der scheidende Präsident der USA  Barack Obama "Amazin g Grace" singt. Das hat mich so durchdrungen. Und die Bluttat hatte mich vorher so schockiert. Da war wieder die Frage: Gott, wie kannst du das zulassen, dass ein Mann in eine Bibelstunde geht - der ist ja nicht einfach reingelaufen und ist Amok gelaufen - er hat dort stundenlang gesessen und hat dann die Menschen hingerichtet, die ihn beherbergt hatten. Wie kann das alles geschehen? Und wie kann am Ende so einer Bluttat: 1) Die Schar der Angehörigen, diesem Angeklagten, diesem Mörder vergeben. Sie haben es alle gemacht. Sie haben gesagt: "Ich vergebe Dir, es ist ein Schmerz, ich werde ihn nicht verwenden, aber ich spreche Dich frei." Und wie kann am Ende ein christlich geprägter Präsident "Amazing Grace" - also von Gnade singen. Das wollte ich erzählen. Ich habe mich in die Rolle von einigen Figuren versetzt. Ich wollte an dieser Schwelle klar machen: Versöhnung ist nicht mal eben so daher gesagt. Es ist schwere Arbeit, es ist mit vielen Schmerzen verbunden und ich hoffe, das macht die Geschichte erlebbar.

domradio.de: Jetzt haben Sie ein Wort angesprochen, das ist Gott und Glaube. Das spielt in dem Buch und für sie eine persönlich eine große Rolle.

Schulz: Ich nehme nicht sekündlich die Gegenwart Gottes wahr. Aber sobald ich ein bisschen inne halte, bin ich mir sicher, das was ich hier erlebe in dieser Wirklichkeit, das ist nicht alles. Gott und seine Wirklichkeit sind in meine Wirklichkeit eingewoben. Ich sehe immer wieder kleine Spuren Gottes in meinem Leben. An manchen Tagen gelingt es mir auch sie aufzusaugen und sie als Rückenwind zu nehmen und auch darauf zu antworten.

domradio.de: Hat sich Ihr Zugang zu dem Thema Versöhnung nach dem Schreiben des Buches verändert?

Schulz: Ja, das ist oft so, dass wenn ich mich mit Gegenständen befasse, dass ich dann hoffe, ich kann sie bewältigen und beherrschen. Jetzt entdecke ich manchmal, es gibt in meinem Leben Versöhntes. Es gibt Menschen, denen begegne ich und merke, das ist ja wieder der, mit dem was nicht stimmt. Dann denke ich: "Siehste, Schulz, das mit der Versöhnung bleibt eine Aufgabe." Insofern ja, ich bin sehr darauf aus, mich mit Menschen zu versöhnen - gemeinsamen Grund zu finden. Ich möchte zum Beispiel sehr gerne verstehen, was Pegida und AfD auf die Straße treibt. Vielleicht können wir uns verständigen und ich kann es besser nachempfinden. Und dann können wir darüber reden und einen Weg der Annäherung und Versöhnung finden.

Das Gespräch führte Renardo Schlegemilch.


Quelle:
DR