domradio.de: Fast 4.700 Menschen sind in diesem Jahr bei der Überquerung des Mittelmeers gestorben. Sea Watch ist eine Initiative zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Dr. Frank Dörner, Sie sind dabei auf den Schiffen, wenn Flüchtlinge gerettet werden. Wie muss man sich das vorstellen?
Dr. Frank Dörner (Sea Watch): Wir haben 2015 ein Boot gekauft und sind damit einfach aufs Meer gefahren. Das heißt, wir waren gar keine Seeleute, die sich gut auskannten in dieser Lage. Wir hatten natürlich einige dabei, die Seeerfahrung gesammelt hatten, die braucht man natürlich auf dem Schiff. Und wir hatten medizinisches Personal an Bord, was auch schon in Krisensituationen gearbeitet hat. Dann haben wir versucht, das zusammenzubringen - also eine Seenotrettung für Flüchtende über das Mittelmeer aufzubauen.
Man muss sich das so vorstellen: Wir stehen mit unseren Ferngläsern auf dem Schiff und suchen den Horizont ab. Sobald ein Flüchtlingsboot auftaucht - zum Teil beladen mit mehr als 100 Leuten - sehen wir zu, dass wir möglichst schnell mit unserem Schnellboot dorthin kommen und mit den Menschen erstmal Kontakt aufnehmen. Dann teilen wir Schwimmwesten aus, weil die meisten nicht schwimmen können und gucken, was als nächstes nötig ist. Damit ist die erste Gefahr gebannt. Und im weiteren Verlauf sehen wir zu, dass die Menschen außer Lebensgefahr kommen und dass größere Schiffe kommen, die sie ans Land und nach Europa transportieren.
domradio.de: Ihr erstes Schiff war nur 23 Meter lang, das heißt, Sie können die Flüchtlinge nicht alle auf Ihrem Boot mitnehmen. Wie sieht denn dann die Rettung aus?
Dörner: Das erste Schiff war wirklich sehr klein, das war ein Fischkutter, der eigentlich schon ausgemustert war - hundert Jahre alt mittlerweile. Da war es von Anfang an klar, dass wir niemanden mit an Bord nehmen konnten. Mittlerweile haben wir ein größeres Schiff. Das ist zwar auch nur 32 Meter lang, aber das ist schon ein deutlicher Unterschied. Jetzt können wir Menschen an Bord nehmen, wenn es absolut nötig ist. Das soll immer nur vorübergehend sein und sehr kurzfristig, weil wir natürlich nicht dafür ausgerüstet sind, diese Menschen vernünftig unterzubringen, zu ernähren und dann auch medizinisch zu versorgen. Wir leisten 'Erste Hilfe' - so würde man das im medizinischen Jargon sagen. Wir sind die Notärzte vor Ort und versuchen, die Menschen dann zu übergeben an die, die weitere Hilfe leisten.
domradio.de: Sind denn da so viele Schiffe in der Nähe, die Sie schnell rufen können?
Dörner: 2015 waren wir das erste deutsche Nicht-Regierungs-Schiff - also zivilgesellschaftlich organisiert. Mittlerweile gibt es glücklicherweise mehrere Organisationen, die dem gefolgt sind. Wir sind mittlerweile eine Art Netzwerk, kommunizieren und kooperieren gut miteinander, so dass wir uns notfalls auch gegenseitig zur Hilfe kommen, wenn wir selber in einem Notfall alleine nicht helfen können. Aber das heißt trotzdem, dass in vielen Situationen die Hilfe dort vor Ort bei Weitem. Wir sehen auch zusätzlich, dass sich die - ich nenne es mal - Militär-Armada mehr und mehr zurückzieht und die Hilfe, die vorher zum Teil geleistet wurde, einfach nicht mehr zu Verfügung stellt.
domradio.de: In der Ankündigung zu Ihrem Vertrag im Domforum am Donnerstag Abend sprechen Sie auch von einem "Grenzregime im Mittelmeer" Meinen Sie das damit?
Dörner: Es ist ganz klar: Diese Grenze ist die tödlichste der Welt. In diesem Jahr sind 4.700 Menschen dort offiziell gestorben - vermutlich sind es wesentlich mehr. Damit muss man einfach sagen, dass Europa dort eine Grenze unterhält, die ganz klar auch auf Abschreckung setzt, um die Menschen möglichst davon abzuhalten, überhaupt über diese Grenze zu gehen. Wir sehen, dass dort eine zusätzliche Militärisierung stattfindet, eine Kriminialisierung der Hilfe und auch der Leute, die fliehen.
Sie kommen alle, weil sie sehr gute Gründe dafür haben. Niemand setzt sich einfach so der Lebensgefahr aus, dort zu ertrinken, wenn er nicht schwimmen kann, bringt seine Familie, seine Kinder auf ein solches Boot. Das muss man sich einfach mal vorstellen und vor Augen führen. Und wir als Europäer schauen einfach nur zu und akzeptieren, dass dort eine Mauer des Schreckens aufgebaut wird.
Das Interview führte Heike Sicconi.