Der Berliner Erzbischof Heiner Koch zu den Ereignissen in Berlin

"Nicht die Zeit der großen Worte"

"Ratlos, ohnmächtig, hilflos", so beschreibt Berlins Erzbischof Heiner Koch die Stimmung nach der Tragödie mit zwölf Toten auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin. Es bleibe nur noch mitschweigen und beten, betont Koch im domradio.de-Interview.

Erzbischof Heiner Koch in der Gedächtniskirche / © Michael Kappeler (dpa)
Erzbischof Heiner Koch in der Gedächtniskirche / © Michael Kappeler ( dpa )

domradio.de: Wie haben Sie den Abend gestern erlebt?

Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Ich war gerade aus Leipzig zurückgekommen, habe die Nachrichten gehört. Und es bewahrheitete sich immer mehr, dass es ein wirklich großes Drama wurde, eine furchtbare Tragödie. Ich habe sofort mit meinen hier Verantwortlichen gesprochen - natürlich auch mit dem evangelischen Landesbischof Dröge und auch mit unseren Krankenhausseelsorgern. Alles andere konnten wir nur abwarten, weil es sich im Laufe der Nacht erst entwickelt hatte. Heute morgen hatte ich die Frühschicht hier in einer Gemeinde und die war so gut besucht wie lange nicht mehr. Man merkt, wie betroffen die Leute sind - aber auch, wie ratlos, ohnmächtig, hilflos. Da bleibt für viele nur noch - und dann doch immerhin noch - das Gebet.

domradio.de: Was sagen Sie den Menschen in der Gemeinde?

Koch: Wir können, denke ich, im Moment nur mitschweigen. Mitschweigen nach dem furchtbaren Unglück mit den Angehörigen, mit denen, die dort direkt Hilfe leisten. Wir erleben hier unsere ganze Ohnmacht, die Ohnmacht des "Nicht-mehr-weiter-Wissens". Wir hatten in Berlin natürlich immer auch die Befürchtung: "Irgendwann wird hier auch mal was passieren." Aber wir waren natürlich auch froh, dass lange nichts passiert ist.

Umso überraschender kam das, was jetzt passiert ist. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass es nicht in Wut und in Ungerechtigkeit umschlägt. Und zur gleichen Zeit darf es auch nicht bagatellisiert werden. Wir werden mit den Angehörigen und mit allen anderen manches nur aushalten - da, wo man nichts mehr sagen kann.

domradio.de: Der mutmaßliche Anschlag ist auf einem Weihnachtsmarkt geschehen, da ist ja schon christliche Symbolik drin. Und dann auch noch direkt neben der evangelischen Gedächtniskirche. Spielt das für Sie eine Rolle oder ist ein Unglück ein Unglück, egal, wo es passiert?

Koch: Zunächst einmal ist ein Unglück natürlich furchtbar, egal, wo es passiert. Aber natürlich ist gerade das Weihnachtsfest - das Fest des Friedens und der Menschenfreundlichkeit - ein besonderes Ereignis, was auch besonders getroffen wird. Hier wird ja wirklich auch eine Botschaft und eine Kultur mitgetroffen. Zum anderen ist es so: Wir feiern ja mit Weihnachten wirklich eine Nacht. Und es ist damals Nacht gewesen, nicht nur im zeitlichen Sinn des Tagesablaufs, sondern eine Nacht der Ratlosigkeit der Ohmacht des Volkes Israel, des Nicht-mehr-weiter-Wissens. Und mitten in diese Nacht hinein ist Gott gekommen.

Er ist in der Nacht bei uns. Da bleibt manchmal nur noch der kleine Stern stehen, der uns weiterführt. Aber die große Erlösung - das Wahrnehmen dessen, dass alles mit einem Schlag ganz anders wird - das war damals nicht gegeben und das ist heute nicht gegeben. Wir bleiben auf dem Wege. Das spürt man in diesen Tagen ganz besonders.

domradio.de: Sie haben sich gestern Abend schon auf Facebook geäußert und besonders den Sicherheitskräften, Sanitätern und Notfallseelsorgern gedankt. Wie wichtig ist diese Arbeit - gestern Abend, aber auch heute?

Koch: Enorm wichtig! Nach allem, was ich weiß - ich habe heute morgen schon mit Seelsorgern gesprochen - ist das gut dort abgelaufen, wenn man das so sagen kann in dieser Katastrophe. Man war irgendwie doch ein wenig vorbereitet; auch, wenn man sich auf so etwas letztlich eigentlich nie vorbereiten kann. Es ist ganz wichtig, dass unsere Seelsorger jetzt auch in den Krankenhäusern nicht nur für die Kranken da sind, sondern auch für die Angehörigen.

domradio.de: Wie wird es jetzt weitergehen in Berlin? Wird sich die Stadt davon wieder erholen können?

Koch: Ich glaube schon, dass es ein solches Bewusstsein geben wird, zu sagen: "Wir gehen unseren Weg dennoch in Frieden und Freiheit und in dieser Weite des Herzens weiter." Ich glaube nicht, dass sich diese Stadt und die Menschen in überwiegender Zahl davon beirren lassen. Aber es ist natürlich ein anderes Weihnachtsfest jetzt - eines, das getrübt ist, geprägt von der Gebrechlichkeit des Friedens und der Menschlichkeit. Was für Weihnachten gilt, gilt jetzt auch für Berlin - es ist Nacht.

domradio.de: Heute Mittag um 12 Uhr laden Sie zum Gebet in die Hedwigskathedrale ein. Können Sie schon sagen, wie es da ablaufen wird?

Koch: Es wird ein stiller Gedenkgottesdienst sein. Ich werde ein paar Takte sagen, aber es wird vor allem ein stilles Gebet sein. Es ist nicht die Zeit der großen Worte und der schönen Parolen. So wie Gott bei uns geblieben ist, müssen wir einfach auch bei den Menschen und in der Situation bleiben.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR