Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will dem Eindruck entgegenwirken, dass die Pflegeversicherung zu einer neuen Kostenbombe im Sozialsystem wird. Er gehe "auf heutiger Basis" davon aus, dass die Beiträge bis zum Jahr 2022 stabil bleiben, sagte er der "Süddeutschen Zeitung" am Montag. Eine Äußerung, die alles andere als eine Festlegung ist.
Zum Jahreswechsel war die letzte Stufe von Gröhes Pflegereform in Kraft getreten. In großen Zeitungsannoncen hatte das Gesundheitsministerium über die Vorteile informiert, die die drei "Pflegeversicherungsstärkungsgesetze" den 2,7 Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörigen bescheren: von Verbesserungen für Demenzkranke, besserer Pflegeberatung in Kommunen bis zu den Zuschüssen für Umbauten oder höheren Rentenansprüchen für betreuende Angehörige.
Beitragssätze angehoben
Das alles kostet pro Jahr rund fünf Milliarden Euro. Zum 1. Januar waren deshalb die Beitragssätze erneut um 0,2 Prozentpunkte auf 2,55 beziehungsweise 2,8 Prozent für Kinderlose angehoben worden. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem nach einem Bericht der "Welt" auch rund jede vierte gesetzliche Krankenkasse ihren Versicherungsbeitrag erhöht hat. Gröhe zeigte sich in der "Süddeutschen Zeitung" erfreut, dass die allermeisten Bürger die höheren Pflegebeiträge offenkundig akzeptierten. "Das zeigt ein hohes Maß an Solidarität." Anfang 2015 hatte es bereits eine Anhebung der Pflegeversicherungsbeiträge um 0,3 Prozentpunkte gegeben.
Die große Koalition hatte die Reform der Versicherung von Anfang an als eines der zentralen Projekte dieser Legislaturperiode bezeichnet. Ziel ist es, auf den demografischen Wandel und veränderte Familienstrukturen zu reagieren, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und die Leistungen für die wachsende Zahl an Demenzkranken zu verbessern.
Gröhe sagte der Zeitung, die Beitragszahler müssten einerseits vor zu hohen finanziellen Belastungen in der Pflegeversicherung geschützt werden. Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, den Alten und Kranken eine gute Versorgung zu ermöglichen. Der CDU-Politiker betonte, dass die Pflegeversicherung eine Teilabsicherung bleibe. Für viele Versicherte könne eine zusätzliche private Absicherung sinnvoll sein, die auch vom Staat gefördert werde.
Hohe Finanzierungslast für jüngere Generation
Kritik an der Finanzierung der Pflegereformen hatte zuvor der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen geäußert. "Die Pflegebedürftigen von heute, die selbst nichts oder nur sehr wenig in die Pflegekasse eingezahlt haben, erhalten ein Geschenk nach dem anderen", sagte er laut "Welt". Für die junge Generation werde die Finanzierungslast durch die neu begründeten Leistungen immer schwerer.
Dabei entwickeln sich Einnahmen und Ausgaben der Pflegeversicherung laut Bundesregierung beständig nach oben. Betrugen die Einnahmen 1995 beim Start der Versicherung lediglich 8,4 Milliarden Euro, stiegen sie 2015 auf 30,7 Milliarden. Die Ausgaben wuchsen im gleichen Zeitraum von rund 5 auf 29 Milliarden Euro. Die Zahl der Leistungsempfänger stieg zwischen 2011 und 2015 um 17 Prozent von 2,3 auf 2,7 Millionen Menschen. Bis 2050 wird sich die Zahl der Pflegefälle nach Prognosen von Wissenschaftlern mindestens verdoppeln. 2060 werden laut jüngst veröffentlichtem Pflegereport der Barmer GEK geschätzte 4,52 Millionen Menschen gepflegt werden müssen.
Kostensteigerung vorprogrammiert
Das sind 221.000 mehr, als bisherige Prognosen erwarten ließen. Der Anteil der Demenzkranken wird sich bis 2050 sogar verdrei- bis verfünffachen - falls nicht neue Medikamente und Therapien zum Erfolg führen.
Steigende Kosten sind also langfristig programmiert. "In der sozialen Pflegeversicherung besteht eine erhebliche Deckungslücke", erklärte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums im September. Er geht davon aus, dass 2040 der Beitragssatz bei vier Prozent liegen wird. Gröhe verweist in diesem Zusammenhang auf den 2015 eingerichteten Vorsorgefonds. Er greift ab 2035, wenn die geburtenstarken Jahrgänge verstärkt Pflegeleistungen in Anspruch nehmen werden. In ihn fließen jährlich 1,2 Milliarden Euro oder 0,1 aus der Beitragserhöhung von 2015.