domradio.de: "Verdeckte Obdachlosigkeit": Das ist ein Begriff, den ich jetzt das erste Mal gehört habe. Das Phänomen gibt es noch nicht lange, oder?
Colin Emde (Streetworker von Off Road Kids): Das Phänomen ist für uns seit etwa zwei Jahren präsent, da wir auf der Straße die Erfahrung gemacht haben, dass die Gruppen immer kleiner geworden sind. Wir haben uns dann gefragt, wo diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen geblieben sind. In der Beratung haben wir dann festgestellt: Sie sind über soziale Netzwerke und Freundeskreise immer wieder von Sofa zu Sofa gehoppt. Daher kommt auch der Begriff "Sofahopper".
Sie hatten nicht die Gelegenheit Hilfe anzunehmen, da sie gar nicht erst angesprochen wurden. Sie sind ursprünglich mal zum Jobcenter oder zum Jugendamt gegangen, wurden dort aber wieder weggeschickt. Sie haben dann aufgegeben und schnorren sich seitdem in diesen sozialen Kreisen durch - so lange diese tragfähig sind. Denn es dauert meistens nicht lang, bis es dem Gastgeber mit dem Sofahopper reicht. Zum Schluss ist dann jede Ressource aufgebraucht und die Jugendlichen landen auf der Straße. Das stellt für uns dann ein akutes Problem dar. Unser Wunsch ist es, möglichst früh mit diesen jungen Erwachsenen in Kontakt zu treten. Deswegen haben wir auch die Domain "sofahopper.de" gegründet, bei der Sofahopper direkt online beraten werden können.
domradio.de: Haben Sie da ein Beispiel für uns? Um sich vorstellen zu können wie so ein "Werdegang" abläuft; wie ein Mensch in diese Situation kommt?
Emde: Es gibt bei uns in der Beratung zwei Hauptgruppen. Das sind einmal die jungen Erwachsenen, die über die Jugendämter betreut wurden; die also bis zum 18. Geburtstag im Heim waren. Mit dem 18. Geburtstag wird die Jugendhilfe - unserer Meinung nach zu früh - dann eingestellt. Sie werden in eigenen Wohnraum verwiesen, den sie kaum halten können. Die Miete wird dann beispielsweise eher für irgendwas Nettes zum Einkaufen verwendet als für die Mietzahlung. Häufig wird die Jugendhilfe auch beendet, ohne dass eine Wohnung da ist. Die Jugendlichen müssen sich selbst eine Wohnung suchen - doch gerade in Köln ist das durch den engen Wohnungsmarkt schwierig. Sie kommen erst mal bei Freunden unter und schnorren sich eben entsprechend durch. Schließlich bekommen sie den Anschluss nicht mehr hin, sich um Schule, Ausbildung und Finanzierung zu bemühen.
Die andere Gruppe ist die der unter 25-Jährigen, die einen großen familiären Konflikt hinter sich haben. Als unter 25-Jährige müssen sie laut Sozialgesetzgebung ihren Auszug aus dem Elternhaus begründen und beweisen. Bei einem großen familiären Konflikt kann man sich vorstellen, dass die Eltern nicht bereit sind, schriftlich zu bestätigen: "Ja, wir haben dich rausgeschmissen, weil du so ein böser Junge bist." Sondern meistens heißt es: "Du bekommst von uns gar nichts mehr". Doch ohne diesen Beweis bekommen sie auch keine Umzugserlaubnis und kein Geld - und damit keine Möglichkeit, sich selbst über Wasser zu halten. Auch diese Gruppe wandert dann in die verdeckte Obdachlosigkeit.
domradio.de: Wie kann man sie vor dem sozialen Absturz bewahren? Da müsste es doch einen Fördertopf geben, um diese dringend nötige Hilfe zu gewährleisten.
Emde: Es gibt Straßensozialarbeit so wie unsere. Aber wir sind erst spät am Ball, da die Jugendlichen ja lange Zeit über diese privaten Schienen versorgt waren. Daher auch die Idee der Onlineberatung, um sehr früh einen Zugang zu bekommen. Da erhoffen wir uns positive Effekte. Ansonsten müssen diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen von jemandem aktiviert werden, der eine Verbindung zwischen Jobcenter, Jugendamt und dem aktuellem Sofa darstellt.
Die Jugendlichen müssen begleitet werden. Ein 18-Jähriger, der direkt aus der Jugendhilfe kommt und wenig Allgemeinbildung hat, wird wohl einen ALG II-Antrag mit ihrem kryptischen Deutsch kaum bearbeiten können. Da braucht es jemanden, der den Antrag mit bearbeitet und auch den Gang zum Jobcenter begleitet, damit es vor Ort nicht heißt: "Nein, du bist ja unter 21 - geh zurück zum Jugendamt". Und das Jugendamt sagt: "Nein, du bist ja über 18, wir helfen dir nicht mehr." Da muss jemand dabei sein, der das Ganze begleitet und die Rechtslage auch kennt - und auch weiß, welche Hebel man bewegen und ein bisschen Druck machen kann.
domradio.de: Off Road Kids ist eine Stiftung. Sie finanzieren sich aus Spendengeldern. Wie kann man Sie unterstützen?
Emde: Da kann man einfach auf unsere Internetseite offroadkids.de gehen. Da findet man alles Wissenswerte zum Spenden. Wir sind ja ausschließlich über Spenden finanziert und das ist einerseits eine tolle Sache, weil wir auch sehr frei arbeiten können und unsere Hilfe sehr direkt und kurzfristig einsetzen können. Aber andererseits ist es auch immer eine sehr schwierige Finanzierung.
Das Gespräch führte Silvia Ochlast.