KNA: Sie sind seit etwas über einem Jahr Pfarrer in Gaza. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Pfarrer Mario Da Silva: Das erste Jahr war geprägt von vielen Schwierigkeiten, Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde, aber auch Problemen mit den muslimischen Nachbarn. Die Jugend aus der Nachbarschaft etwa hat uns nach den Freitagsgebeten regelmäßig mit Steinen beschmissen. Ein Muslim hat Drogen in meinem Auto versteckt und die Polizei gerufen. Probleme dieser Art hatten wir einige.
KNA: Hat sich die Lage in der Gemeinde beruhigt?
Da Silva: Es ist immer noch nicht ruhig, aber besser. Die Christen kämpfen um Unterstützung durch die Kirche, da entstehen Eifersüchteleien.
KNA: Und das Verhältnis zur Ortskirche?
Da Silva: Das Lateinische Patriarchat unterstützt uns sehr. In den letzten zwei Jahren haben wir elf Projekte mit Hilfe des Patriarchats umsetzen können. Das Pfarrhaus, der Kindergarten und die Schule wurden renoviert. Eine weitere sehr wichtige Sache für uns ist die Stromversorgung: Durch die neuen Solaranlagen haben wir zwar nicht rund um die Uhr Strom, aber es geht uns besser als den meisten. Auch die Sicherheit wurde verbessert: Die Ummauerung wurde verstärkt, Überwachungskameras wurden angebracht. Gegenwärtig wird die Kirche renoviert, deren Fundamente in einem sehr schlechten Zustand sind und die unter Wasserschäden leidet. Die Arbeiten werden weitere vier Monate andauern. Auch der Kirchplatz soll erneuert werden.
KNA: Motivieren diese Verbesserungen die Christen zum Bleiben?
Da Silva: Nein. Wir sind traurig darüber, dass die Christen Gaza verlassen. Als ich vor vier Jahren nach Gaza kam, waren wir etwa 2.000 Christen, jetzt sind wir vielleicht 1.000. Im vergangenen Jahr haben sehr viele Christen Ausreisegenehmigungen von Israel für den Besuch Jerusalems und der Westbank erhalten, und viele sind dort geblieben. Das ist en großes Problem für mich. Zum Beispiel habe ich etwa 40 Prozent meiner jungen Leute verloren im vergangenen Jahr. Zum Beispiel hatten wir 50 Pfadfinder, jetzt sind es nur noch 30.
KNA: Betrifft die Abwanderung Katholiken und Orthodoxe gleichermaßen?
Da Silva: Nein, nur die orthodoxe Gemeinde, aber wir machen da keinen Unterschied. Von den Katholiken ist einer abgewandert, und im vergangenen Jahr wurden fünf Kinder geboren.
KNA: Wird es angesichts der Abwanderung noch schwieriger, Ausreisegenehmigungen zu erhalten?
Da Silva: Ja. Weihnachten etwa war es sehr schwierig, Genehmigungen zu erhalten, insbesondere für die jungen Leute. Auch wer Verwandte im Westjordanland hat, hat keine Genehmigungen erhalten. Israel hat Angst, dass die Menschen nicht zurückkommen.
KNA: Haben Sie Angst, dass es in ein paar Jahren keine Christen mehr in Gaza geben wird?
Da Silva: Nein. Es gibt einige Familien, die bleiben wollen, weil sie sagen, es ist unser Land. Aber vielleicht wird die Gemeinde sehr viel kleiner werden.
KNA: Gaza ist nicht Syrien oder Irak. Würden Sie trotzdem sagen, dass Christen verfolgt werden?
Da Silva: Wir wollen uns nicht mit anderen Ländern vergleichen. Unsere Situation ist schwierig, und wir haben unsere Probleme. Es sind große Probleme, die wir zu lösen versuchen. Aber Christen in Nahost werden als Minderheit verfolgt. Für uns ist es nicht einfach, den Glauben zu behalten.
KNA: Gazas Christen sind eine kleine Herde. Was hat sie der Welt zu sagen?
Da Silva: Meine Gemeinde ist klein, aber sie gibt ein wunderbares Zeugnis für die Welt. Sie leiden, um ihren Glauben leben zu können, und sie wollen ihn nicht verlieren. Sie haben große Schwierigkeiten, hier Christen zu sein, in der Minderheit. Aber sie haben einen starken Glauben und würden lieber ihr Leben geben, als ihren Glauben zu verleugnen.
KNA: Wie lautet Ihr Appell an die Welt?
Da Silva: Wir bitten um politische Hilfe, denn der Konflikt muss gelöst werden. Wir bitten um finanzielle Hilfe, weil wir weder Arbeit noch die nötigen Ressourcen haben, aus den Problemen herauszukommen. Und wir bitten um das Gebet.
KNA: 2017 jährt sich die Militärbesatzung des Westjordanlandes zum 50. Mal, die Blockade des Gazastreifens dauert zehn Jahre an. Gibt es eine Hoffnung, dass diese Situation ein Ende finden wird?
Da Silva: Wir sind nicht hier, um Politik zu betreiben, sondern um den Menschen zu helfen und ihnen Hoffnung zu geben, dass diese Situation eines Tages zu einem Ende kommen muss. Wir wissen nicht wann, aber wir hoffen, dass es ein Ende geben wird. Darin besteht unsere Arbeit.
Das Interview führte Andrea Krogmann.