Ihr Rücken, ja, der mache ihr gelegentlich zu schaffen, gibt Lea Ackermann zu. Doch wer sie am Sitz von Solwodi in Boppard-Hirzenach besucht, würde nicht glauben, dass die Ordensschwester bereits ihr achtes Lebensjahrzehnt beendet. Hellwach und konzentriert führt sie ihr Netzwerk, das sich für unterdrückte, misshandelte und vergewaltigte Frauen einsetzt. Auch nach mehr als 30 Jahren ist bei ihr der Zorn spürbar, dass Männer über Frauen wie eine Ware verfügen, dass Männer selbst vor der sexuellen Ausbeutung von Kindern nicht haltmachen.
Seit 1985 ist Ackermann als Gründerin und Vorsitzende die treibende Kraft hinter Solwodi. Dass sie zu diesem ihrem Lebensthema fand, ist eine von vielen schicksalhaften Wendungen ihrer Biografie, die 1937 in Völklingen begann und die junge Saarländerin zunächst als Bankkauffrau nach Saarbrücken und Paris führte. Mit 23 Jahren trat sie 1960 den Weißen Schwestern bei, "weil ich fromm war – und bin", und weil sie die große, weite Welt sehen wollte.
In die große weite Welt
Zunächst studierte sie Theologie, Pädagogik und Psychologie. Mit Afrika kam sie erstmals 1967 in Kontakt, als sie Lehrerin an einer Internatsschule in Ruanda wurde. Nach fünf Jahren kehrte sie zurück nach München, arbeitete an ihrer Doktorarbeit und wurde Bildungsreferentin beim Hilfswerk Missio.
Ihre Ordensleitung entsandte sie 1985 als Lehrerin ins kenianische Mombasa. Das Leid junger Frauen ohne Schulbildung, die ihre Körper für Geld reichen Sextouristen anboten, erschütterte die Schwester. "Ich habe gesehen, wie Menschen, die sich eine Weltreise leisten konnten, in ein Urlaubsparadies kommen, das Elend und die Armut von Frauen und Kindern sehen und das für ihr billiges Vergnügen ausnutzen."
Ohne Geld, aber mit starkem Willen
Geld hatte die frühere Bankerin keines. Doch sie schrieb unzählige Bittbriefe, trommelte um Spenden – und konnte so im Oktober 1985 die Organisation "Solidarity with Women in Distress (Solidarität mit Frauen in Not)" gründen. Jungen Frauen bietet Solwodi die Möglichkeit einer fundierten Ausbildung etwa zur Schneiderin, Friseurin, Köchin, Lehrerin oder Mechanikerin. Solwodi unterhält heute Beratungsstellen und Schutzwohnungen in Deutschland, Österreich, Rumänien und vor allem in Afrika.
In Deutschland kämpft Lea Ackermann gegen das aus ihrer Sicht zu liberale Prostitutionsrecht: "Mach den Schluss-Strich – Keine Frauensklaverei in Deutschland" heißt eine Kampagne, bei der sie in einer Allianz mit einer Vorkämpferin der deutschen Frauenbewegung steht: "Alice Schwarzer hat mich schon mal als Feministin bezeichnet", doch solche Bezeichnungen seien für sie nicht wichtig: "Ich bin eine normale Frau, und ich bin gegen Ungerechtigkeit."
Gegen Ungerechtigkeit
Ungerechtigkeit und Unterdrückung der Frau sieht Lea Ackermann nicht nur in Bordellen und Zwangsehen, sondern in vielen Bereichen. In der Politik, der Wirtschaft, auch in der Kirche müssten Frauen gleichberechtigt werden, fordert sie. Es ärgert die Ordensfrau, wenn Bistümer auf den Priestermangel mit der Bildung von Großpfarreien reagieren: "Ich kann nicht verstehen, dass man lieber eine Kirche schließt, als dass man pastoral ausgebildete Frauen einsetzt", sagt Schwester Lea.
Den Eintritt ins Kloster hat sie nie bereut. Lediglich mit etwa 50 habe sie eine persönliche Krise gehabt; als der Umbruch des eigenen Körpers ihr wieder bewusst machte, dass sie niemals eigenen Nachwuchs in die Welt setzen würde. Das sei schwer zu verkraften gewesen. "Als junges Mädchen habe ich immer viele Kinder gewollt", erinnert sie sich. "Aber dann bin ich ins Kloster gegangen und habe darauf verzichtet – bewusst! Doch was ich so schön fand: Ich habe viele Kinder geschenkt bekommen!" Denn in Boppard konnte sie den Nachwuchs von Frauen in Schwierigkeiten mit betreuen.
Seit Mitte vergangenen Jahres baut Lea Ackermann mit der Sozialpädagogin Annemarie Pitzl von der Gemeinschaft "Arme Dienstmägde Jesu Christi" eine Nachfolgerin auf, die einmal den Vorsitz von Solwodi übernehmen soll. Doch noch engagiert sich Schwester Lea selbst nach Kräften für ihr Lebenswerk.