Die Idee ist nicht neu: Afrikanische Migranten sollen in nordafrikanischen Staaten in Aufnahmezentren Asyl beantragen, bevor sie die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer antreten. Und auf hoher See gerettete Flüchtlinge sollen in diese Länder zurückgeführt werden. Der damalige SPD-Bundesinnenminister Otto Schily stieß vor mehr als zehn Jahren mit dieser Idee auf Ablehnung. Seit der Flüchtlingsandrang wächst, gewinnt der Vorschlag wieder an Kontur.
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) wirbt seit längerem für solche Aufnahmezentren, unter anderem in Tunesien. Bei einem EU-Sondergipfel vergangene Woche einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf eine engere Zusammenarbeit mit Libyen im Kampf gegen illegale Zuwanderung. Am vergangenen Sonntag griff nun auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann den Vorschlag der Zentren und der Rückführung in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" auf. Dafür erntete er teils harsche Kritik aus den eigenen Reihen.
Politische Instabilität
Die meisten afrikanischen Mittelmeeranrainer gelten nach dem Scheitern des "Arabischen Frühlings" als politisch instabil, vor allem Libyen. Von menschenrechtlichen Standards kann in manchen Ländern kaum die Rede sein. Vor allem über Libyen kamen allein im vergangenen Jahr rund 181.000 Migranten in die Europäische Union. Dort rechnet man derzeit mit bis zu 350.000 weiteren Schutzsuchenden, die auf eine Überfahrt hoffen.
Umso mehr bemühen sich die EU-Staaten, nach der Schließung der Balkanroute den ungeregelten Zugang über das Mittelmeer einzudämmen.
Ein Abkommen wie mit der Türkei ist mit Libyen angesichts des dortigen Chaos nicht realistisch. Dennoch müsse man ähnlich wie beim EU-Türkei-Abkommen mit den Anrainerstaaten der sogenannten Mittelmeerroute kooperieren, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Malta. Die EU ziehe damit "die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016".
Die Europäer wollen die libysche Küstenwache unterstützen und Schleusernetzwerke bekämpfen. In Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wollen sie sichere und angemessene Aufnahmeeinrichtungen in Libyen aufbauen. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, dass eine geordnete Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Partnerländern nötig sei, um das Schleusergeschäft und die gefährliche Flucht über das Mittelmeer zu stoppen. "Aber wir müssen klar sagen, soweit sind wir noch nicht."
Kritik von Misereor
Auch Oppermann plädierte in seinem Gastbeitrag für eine engere Zusammenarbeit, um den Schleusern die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Und nach den Worten von Außenamtssprecher Martin Schäfer hat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) den Aussagen Oppermanns in Brüssel nicht widersprochen.
Eine klare Ablehnung für das Konzept von Flüchtlingszentren kommt von der Opposition und Hilfswerken. So erklärte das katholische Hilfswerk Misereor in Aachen, die Wahlen in Deutschland und mehreren europäischen Nachbarländern ließen befürchten, dass beim Thema Flucht und Migration Augenmaß und menschenrechtliche Sorgfalt auf der Strecke blieben.
Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon sagte: "Wie sonst sollte man erklären, dass jetzt ernsthaft über Auffanglager in Libyen nachgedacht wird, einem zerfallenen Staat im Krieg, der angesichts anhaltender interner Gewalt selbst mehr als 300.000 Binnenvertriebene zählt?"
Die Bundesregierung rede auch die von Gewalt und Terror gekennzeichnete Situation in Afghanistan schön, um Abschiebungen in dieses Land zu rechtfertigen. Ebenso sei es untragbar, dass sogar Syrien manchen Menschen als ein Staat gelte, der "sichere Gebiete" aufweise, so Bröckelmann-Simon.
EU materiell keineswegs überfordert
Es könne nicht oft genug betont werden, dass die Europäische Union mit ihren materiellen Möglichkeiten wegen ankommender Flüchtlinge keinesfalls überfordert sei. Es sei eine Illusion zu glauben, die Lösung läge insbesondere in einer Blockade von Flucht- und Migrationsrouten, sagte Bröckelmann-Simon.
Die Erfahrung zeige, dass durch Schließung einer Route der Druck nicht abnehme, sondern nur die Risiken und Gefahren für die Migranten erhöht würden. "Diese weichen dann notgedrungen auf neue, zum Teil weitaus gefährlichere Strecken aus."
Auch SPD-Politiker mit Bedenken
Bedenken kommen auch aus den Reihen der Sozialdemokraten. Der Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration, Aziz Bozkurt, bewertete es im "Tagesspiegel" als "zynisch und menschenverachtend", Aufnahmelager in instabilen nordafrikanischen Ländern zu errichten. SPD-Innenexperte Rüdiger Veit nannte den Vorschlag im Deutschlandfunk "mindestens unrealistisch, rechtlich problematisch und wahrscheinlich auch wirkungslos".
Oppermann sieht die Rückführung der Flüchtlinge aber nur als einen Punkt in einem Gesamtkonzept zur Zuwanderung, mit dem sich die SPD mit Blick auf die Bundestagswahl gegenüber der Union abgrenzen will.
Dabei lehnt er einerseits die von der CSU geforderte Obergrenze für Asylsuchende ab und fordert andererseits, legale Zugangswege in die EU zu eröffnen. Die Arbeitsmigration soll von der humanitären Aufnahme durch ein Einwanderungsgesetz getrennt werden, das sich an den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes orientiert.
Bei der auch in Malta weiter nicht geklärten Frage nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge unter den EU-Ländern nimmt Oppermann den Plan von Gesine Schwan auf: Kommunen in der EU, die demografische oder finanzielle Probleme haben, können sich um Flüchtlinge bewerben und erhalten aus einem EU-Fonds Mittel für Infrastruktur und Integration.