Theologin Rahner zur Geschichte der Reformation

"Hätte es auch ohne Luther gegeben"

Auch ohne Martin Luther hätte es nach Einschätzung der Tübinger katholischen Theologin Johanna Rahner wahrscheinlich "so etwas wie eine Reformation gegeben".

Lutherdenkmal in Wittenberg / © Martin Jehnichen (KNA)
Lutherdenkmal in Wittenberg / © Martin Jehnichen ( KNA )

Zur Begründung verwies sie am Dienstagabend in Berlin auf die vielfältigen Spannungen am Anfang des 16. Jahrhunderts in Kirche, Politik, Kultur und Gesellschaft. Der im Jahr 1517 ausgebrochene Streit um den Ablass, der als Beginn der Reformation gilt, sei "nur der Auslöser, aber nicht der entscheidende Punkt gewesen, der schließlich zur Spaltung der Kirche in Westeuropa geführt habe, so die Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie. Im Zentrum der Auseinandersetzung habe die Funktion des Papstes und damit das unterschiedliche Verständnis der Kirche gestanden.

Weiter meinte die Theologin, dass es zur dauerhaften Kirchenspaltung gekommen sei, verdanke sich weniger den Ereignissen von 1517 als dem Konzil von Trient (1545-1563), mit dem die katholische Kirche auf die Reformation reagierte. Seine Entscheidungen "zielten nicht mehr auf Einigung, sondern auf katholische Profilierung und Abgrenzung".

Kirchenspaltung als Ergebnis zahlreicher Spannungen

Rahner äußerte sich zum Beginn einer Vortrags- und Gesprächsreihe zu "500 Jahre Reformation - die heilende Wirkung der Erinnerung", die von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, dem Erzbistum Berlin und dem Ökumenischen Rat Berlin-Brandenburg veranstaltet wird. Auch der evangelische Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin erklärte den Prozess der Kirchenspaltung als Ergebnis zahlreicher Spannungen. Dabei seien frühere schematische Darstellungen vom "finsteren Mittelalter", aus dem Luther in die Neuzeit herausgeführt habe, ebenso unzutreffend wie die umgekehrten katholischen Darstellungen.

In der Kirche des ausgehenden Mittelalters habe es zugleich veräußerlichte und höchst innerliche Frömmigkeit gegeben, einen verbreiteten Klerikalismus und selbstbewusste Laien, einen päpstlichen Zentralismus und das landesherrliche Regiment. In diesem Spannungsfeld hätten sich Luther und seine Gegner "gegenseitig hochgeschaukelt" bis zur Trennung. Paradoxerweise, so Leppin, hätten anschließend die getrennten Kirchen dieselben Spannungen "in sich selbst neu belebt".


Quelle:
KNA