domradio.de: Sollte man Rechtspopulisten lieber ignorieren oder in den Dialog einbinden?
Ellen Ueberschär (Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags): Ignorieren auf keinen Fall. Man kann ja nicht 20 Prozent, oder in Sachsen-Anhalt gar 25 Prozent der Wählerschaft ignorieren. Man sollte sie ganz klar in den Dialog einbeziehen - aber unter bestimmten Regeln und Bedingungen. Wir müssen uns innerhalb des demokratischen Diskurses bewegen und den Diskurs nicht dazu benutzen, andere Menschen abzuwerten oder auszugrenzen.
domradio.de: Wenn also Argumente von Rechts gegen Einwanderer und Flüchtlinge kommen, dann sollte man dagegen argumentieren?
Ueberschär: Auf jeden Fall. Das sollte jeder auch im Alltag machen und Meinungen widersprechen, bei denen man merkt, dass es mit flockigen Sprüchen gegen Minderheiten oder Zuwanderer geht. Ich finde, dass dies eine Anforderung ist, die wir insgesamt in der Gesellschaft erfüllen müssen. Viele fragen sich in einer gewissen Ratlosigkeit wie es kommt, dass plötzlich so viele Menschen so offen für rechtspopulistische Einflüsse sind. Was macht man dagegen? Ich glaube, das Einzige ist wirklich im Alltag zu sagen, dass man sich vor diese Menschen stellt und darauf aufmerksam macht, dass man selbst dagegen ist, wenn so über diese Menschen gesprochen wird.
domradio.de: Sie haben als Verantwortliche für den Evangelischen Kirchentag die Entscheidung getroffen, dass dort Vertreter der AfD mitsprechen. Das ist so keine neue Diskussion. Wenn man ein Jahr zurückblickt, dann wurde beim Katholikentag die gegenteilige Entscheidung gefällt und man hat die AfD nicht eingeladen. Was hat sich in diesem Jahr geändert?
Ueberschär: Wir haben im Deutschen Evangelischen Kirchentag im Präsidium lange diskutiert und letztendlich so entschieden. Wir haben auch in die 1980er Jahre zurückgeschaut, als die Republikaner sehr hohe Stimmenanteile hatten. Zu dieser Zeit gab es einen Beschluss des Präsidiums, keine Menschen vom Dialog auszuschließen, aber zu verlangen, dass es bestimmte Regeln gibt, die eingehalten werden. In einer ähnlichen Weise hat das Präsidium nun auch entschieden.
Wir kontrollieren ja auch nicht die Parteibücher der Teilnehmer. Wir haben kein AfD- oder rechtspopulistisches Thema, das sich außerhalb der evangelischen Kirche bewegen würde, sondern wir haben es auch innerhalb der evangelischen Kirche. Schon allein das ist ein Grund zu sagen, dass wir nicht nur über Menschen reden, sondern dass wir mit den Menschen reden müssen. Das einzige Thema, bei dem Kompetenz vertreten ist, ist die Frage, ob man als Christ in der AfD sein kann. So haben wir das Thema "Christen in der AfD?" genannt. Das soll mit einer Vertreterin der AfD diskutiert werden - wohlgemerkt mit einer Person.
Das Präsidium hat klare Grundsätze aufgestellt, beziehungsweise Selbstverständlichkeiten wiederholt. Es ist in diesen Zeiten wichtig zu sagen, dass niemand, der sich rassistisch oder gruppenbezogen menschenfeindlich in der Öffentlichkeit äußert, zu Kirchentagspodien eingeladen wird. Wir beobachten sehr fein, ob das bei der eingeladenen AfD-Vertreterin, Frau Schultner, der Fall ist. Dass sie eine gewisse Nähe zu ihren anderen Parteimitgliedern hat, ist klar. Damit muss man leben. Wir aber reden genau darüber, wie sie das als Christin verantwortet.
domradio.de: Solche Strömungen und Parteien verwenden gerne den Begriff des christlichen Abendlandes. Welche Rolle spielt denn da die eigentliche Religion?
Ueberschär: Das ist nur Rhetorik. Wir können ja auch beobachten, dass die AfD, je weiter sie nach rechts abdriftet, umso kirchenfeindlicher wird. Es ist völlig klar, dass ein Evangelium, in dem es um einen Menschen geht, dessen Leben mit einer Flucht begann, der sich für die Schwachen und Ausgegrenzten in der Gesellschaft eingesetzt hat und dessen Vorbild die evangelische Kirche, die katholische Kirche und alle ernsthaften Christen folgen, nicht mit völkischem oder nationalkonservativem Denken zu vereinbaren ist. Dieses Bewusstsein verbreitet sich auch relativ stark in rechtspopulistischen Kreisen. In rechtsextremistischen Kreisen war es schon immer klar, dass es nicht zusammenpasst. Ich finde es trotzdem wichtig, dass man dieses Thema noch einmal auseinandernimmt.
domradio.de: Man könnte sagen, dass durch die Flüchtlingsdebatte der Rechtspopulismus mehr ans Licht der Öffentlichkeit gekommen ist. Aber ist das wirklich ein neues Phänomen oder tritt das nur jetzt mehr durch die sozialen Kanäle hervor?
Ueberschär: Ich glaube, es passiert eine Kanalisierung. Wenn man sich die Kirchenmitgliedschaftsstudien der letzten Jahrzehnte anschaut, dann sieht man, dass der Anteil der Islamophobie unter Christinnen und Christen tendenziell höher war als im Durchschnitt der Bevölkerung. In dem Moment, in dem eine politische Bewegung kommt, die das kanalisiert und sagt, wir bieten euch für diese Ängste einen Raum und eine Sprache, findet das natürlich Resonanz.
Ich bin darüber ehrlich gesagt ein bisschen enttäuscht, da ich den Eindruck hatte, dass wir auch mit den Kirchentagen in der Vergangenheit viel an Aufklärung und Begegnung schaffen konnten und dass viel mehr Menschen verstanden haben, dass es auch auf muslimischer Seite Menschen gibt, die ihren Glauben ernsthaft leben. Unsere Bedrohung kommt nicht von Menschen, die anders glauben, nur weil sie eine andere Religion haben. Das Bestreiten von Religion, das Bestreiten, dass Religion in der Öffentlichkeit überhaupt etwas zu suchen hat, ist etwas, dem wir gemeinsam widersprechen müssen und uns nicht als Religionsgemeinschaften scharf voneinander abgrenzen. Aber offensichtlich ist die Islamophobie so tief verankert, dass sie doch auf ihre Instrumentalisierung ansprechbar ist.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.