Zumindest auf seine Schriftstellerkollegen kann sich der Dichter und Befreiungstheologe Ernesto Cardenal (92) noch verlassen: Der internationale Schriftstellerverband PEN stellte sich Anfang dieser Woche hinter den nicaraguanischen Poeten, der nach eigener Lesart wieder einmal zur Zielscheibe der regierenden Sandinisten geworden ist. Man glaube an seine mutigen, direkten und kritischen Positionen zur Lage in Nicaragua unter der Regierung Daniel Ortega. Diese habe seit 2007 Verfolgung und Beeinträchtigung zu verantworten, heißt es in einem PEN-Schreiben, aus dem lateinamerikanische Medien zitieren.
Wenig später legte auch die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli nach: "Ich möchte an Ernesto Cardenaleine Umarmung schicken. Er ist ein großartiger Poet, ein essenzieller Dichter, der nichts mehr verdient als Liebe."
Auch die chilenische Schriftstellerin Isabelle Allende zeigte sich solidarisch mit Cardenal. Sie nannte es beklagenswert, dass die Situation in Nicaragua Cardenal beängstige, ebenso wie sie viele andere Menschen erschrecke. "Wenn Ernesto Cardenal sich verfolgt fühlt, ist es besser, wenn er geht. Denn man kann weder leben noch arbeiten und noch viel weniger Poesie schreiben, wenn man sich verfolgt fühlt", sagte Allende gegenüber der Deutschen Welle. So sei es ihr in Chile während der Diktatur ergangen. "Deshalb bin ich nicht dort geblieben, sondern nach Venezuela gegangen."
750.000 Euro Bußgeld
Ob die Solidaritätsbekundungen tatsächlich helfen, steht auf einem anderen Blatt. Cardinal fühlt sich "politisch verfolgt". Laut Medienberichten verhängte Nicaraguas Justiz gegen ihn ein Bußgeld in Höhe von umgerechnet 750.000 Euro. Hintergrund soll ein jahrelanger Streit um Grundstücke auf dem Archipel Solentiname sein, wo Cardenal einst eine urchristliche Kommune errichtete. Nun prüfe der ungehaltene Dichter die Möglichkeit, in Deutschland, Chile oder Spanien politisches Asyl zu beantragen, hieß es in seinem Umfeld.
Durchgesetzt hat die richterliche Entscheidung ein guter alter Bekannter des Präsidenten-Ehepaares Daniel Ortega/Rosario Murillo, das seit dem umstrittenen Urnengang vom November nicht nur Tisch und Bett, sondern auch Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft miteinander teilt. Schon vor den Wahlen ließen Ortega/Murillo einen aussichtsreichsten Oppositionskandidaten mit Hilfe der Justiz einfach aus dem Rennen nehmen. Nun streitet der Anwalt Ramon Rojas erfolgreich gegen Cardenal und für die Klageführer Arcia Mayorga und ihren deutschen Ehemann Immanuel Zerger.
Rojas verteidigte Ortega bereits gegen die Missbrauchsvorwürfe von Zoilamerica Narvaez. Die Tochter seiner Ehefrau beschuldigte Ortega, sie seit ihrem elften Lebensjahr sexuell missbraucht zu haben. Rosario Murillo stellte sich gegen sie und verteidigte den Ehemann. Am Ende blieb Ortegas Stieftochter nichts weiter übrig, als die Straflosigkeit in Nicaragua zu kritisieren.
Preisgekrönt und kritisiert
Cardenal indes gilt als eine der schillerndsten Figuren Lateinamerikas. Er nennt sich selbst "Sandinist, Marxist und Christ". Papst Johannes Paul II. verbot ihm 1985 die Ausübung des priesterlichen Dienstes, weil er nach dem Sturz der Somoza-Diktatur das Amt des Kulturministers in der Revolutionsregierung bekleidete. Damals stritten Ortega und Cardenal noch Seite an Seite. Für sein literarisches Werk erhielt der Dichter 1980 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2012 den spanischen Königin-Sofia-Preis für Iberoamerikanische Literatur. Kritiker nennen ihn den "Begründer der mystischen lateinamerikanischen Literatur" oder einen "der originellsten christlichen Mystiker des 20. Jahrhunderts".
Am 4. März wird Cardenal die Ehrendoktorwürde der Bergischen Universität Wuppertal verliehen. Die Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften würdige damit seinen Beitrag zur Weltliteratur und sein Engagement für den kulturellen Austausch zwischen Nicaragua und Deutschland, teilte die Universität kürzlich mit. Sicherlich wird die deutsche Öffentlichkeit dann auch direkt aus dem Munde Cardenals erfahren, ob es ihn tatsächlich ins Exil nach Deutschland zieht.