domradio.de: Lange haben Sie gewartet, bis die persönliche Einladung des Papstes für ein Interview bei Ihnen ankam. Knallten dann in Ihrer Redaktion die Sektkorken?
Giovanni di Lorenzo (Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT): Nein, da war ich viel zu ängstlich, dass es im letzten Moment noch abgesagt werden könnte. Deshalb habe ich mich erst am Abend nach dem Interview getraut, mich richtig zu freuen.
domradio.de: Sie haben sich im Gästehaus Santa Marta im Vatikan getroffen, in einem eher spartanisch eingerichteten Besucherzimmer. Wie empfanden Sie diese einfache Umgebung?
Di Lorenzo: Ich glaube, dass der Papst sehr wohl weiß, auch durch Zeichen klarzumachen, was ihm wichtig ist – Bescheidenheit. Wir saßen uns gegenüber. Es war schmal, eng, ohne jedes Bedürfnis nach Repräsentieren, was manchen überraschen mag. Man ist sehr aufeinander bezogen. Und mir haben seine Mitarbeiter erzählt, dass er fast jeden Gast so empfängt. Manchmal sind es ja auch ältere Herrschaften, die zu ihm zu Besuch kommen, und es gibt in aller Regel nicht einmal ein Glas Wasser.
domradio.de: Wie haben Sie den Papst im Gespräch erlebt, der sich Ihnen gegenüber als Sünder und fehlbar bezeichnet hat?
Di Lorenzo: Ich habe ihn als zugewandt erlebt. Ich war überrascht darüber, dass er sich auf so elementare Fragen wie "glauben Sie an den Teufel?", "was darf man beten?", "wo verbietet es sich im Eigeninteresse bei Gott vorstellig zu werden?" eingelassen hat. Er hat sich auf Augenhöhe begeben. Das hat mich sehr bewegt. Das habe ich so nicht erwartet.
domradio.de: Sie haben mit dem Papst auch über Glaubenszweifel gesprochen. Empfanden Sie dies als tröstlich?
Di Lorenzo: Ja, sehr! Vor allem, weil er sagt, dass an den Krisen der Glauben auch wachsen kann. Ein Glauben, der nicht in der Krise geschärft ist, ein infantiler Glauben ist. Das fand ich einen unglaublichen Satz. Andererseits scheint er auch sehr dem südamerikanischen Volksglauben verhaftet zu sein. Er glaubt unbedingt an die Figur des Teufels. Das hat auch viele an Luther erinnert, der so etwas wie eine Teufelsobsession hatte. Das will ich Papst Franziskus keinesfalls unterstellen, aber bei Luther war die Teufelsfigur auch so stark. Das Gespräch über Glauben hatte etwas Tröstliches, weil er Dinge bestätigt hat, die die allermeisten von uns kennen. Er sagt zum Beispiel, dass Glauben ein Geschenk ist, den man nicht in irgendeiner Form herbeordern kann.
domradio.de: In dem Interview sagt der Papst auch: "Wahrheit ist, keine Angst zu haben." Geht das auch an den Kern des journalistischen Selbstverständnisses?
Di Lorenzo: Ja, auch. Das war einer der Kernsätze des Gesprächs. Aber das war nicht an den Journalismus gerichtet, sondern an seine eigene katholische Kirche. Im Übrigen stellt er ja hin und wieder auch so richtig psychoanalytische Bezüge her. So sagt er, dass in der Verehrung seiner Person, die er für seine Person ablehnt, etwas Aggressives steckt. Das ist ein ganz interessanter Gedanke...
domradio.de: … in Richtung an die vielen Messias-Gestalten in unserer Welt …
Di Lorenzo: … die ordnet er eher den Populisten zu. Er sagt, Populismus braucht die Figur des Messias und das Alibi der Identität des eigenen Volkes.
domradio.de: Wie wichtig ist Ihnen im Zeitalter des Populismus diese demütige Haltung des Papstes oder sollte er doch nicht lieber öfter auf den Tisch hauen?
Di Lorenzo: Das habe ich mich auch gefragt. Aber er hat gesagt, er habe genug Basta in seinem Leben gesagt. Ich glaube, dass er auch diese Seite hat, sonst wäre er nicht Papst. Und ich glaube, dass er durchaus politisches Gespür und Geschick hat, dass er auch politisch denken kann. Er ist alles andere als ein nur entrückter oder nur volksnaher Mensch. Er ist beides: er hat diese spirituelle Ebene, die er auch sehr stark ausstrahlt, und er hat die Seite des politisch begabten Lenkers. Und dann hat er dieses unglaubliche Talent, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
domradio.de: Er ist auch Journalisten gegenüber sehr direkt. Sie haben gut recherchiert, aber hin und wieder mussten Sie sich anhören, dass es so nicht stimmt …
Di Lorenzo: So fängt das Interview ja auch an. Seine erste Antwort war: "Das stimmt nicht." Auch das war überraschend – und schön irdisch. Das ist interessant. Natürlich ist in vielen Menschen, ich kann mich da gar nicht davon freisprechen, auch die Sehnsucht nach etwas, was nicht so irdisch ist. Dieser Erwartung wird er überhaupt nicht und ganz bewusst nicht gerecht. Er sagt ja auch sinngemäß, die Zeit der allwissenden Väter ist vorbei. Und am Schluss sagte er so demütig und auch anrührend zu mir: "Beten Sie für mich."
domradio.de: Was nehmen Sie von diesem Gespräch mit Papst Franziskus als Mensch und Journalist mit?
Di Lorenzo: Den Trost, die Krise auszuhalten, weil man daran wächst. Dass er sagt: Wenn du in Not bist, ich kenne das auch.
Das Interview führte Birgitt Schippers.