Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Kustos Patton, als von außen ins Amt Berufener haben Sie einen frischen Blick: Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der aktuellen Lage im Heiligen Land?
Francesco Patton (Franziskaner-Kustos): Als erstes habe ich dessen Komplexität verstanden. Die ist nicht negativ oder positiv zu werten, sondern beschreibt die zahlreichen Realitäten und Belange, die zusammengehalten werden müssen. Die Zahl der verschiedenen christlichen Gemeinschaften ist groß. Die Beziehungen untereinander müssen erhalten und verbessert werden. Wir sind eine Minderheit, die mit einer Mehrheit von Juden und Muslimen lebt. Wir müssen auch hier den Dialog pflegen. Wir können eine Brücke sein zwischen den beiden Religionen. Ebenfalls komplex ist die Lage innerhalb der Kustodie, die in Israel, Palästina, Jordanien, Syrien, Libanon, Zypern und Ägypten in sehr unterschiedlichen Realitäten lebt. Wir betreuen mehr als 50 heilige Stätten und 30 Pfarreien, haben rund 50 Schulen mit über 10.000 Schülern und versuchen, sowohl für die einheimischen Christen wie für die Pilger und die katholischen Migranten da zu sein. Die Komplexität zeigt sich also in jede Richtung.
KNA: Ist das nun eine Stärke oder eine Schwäche?
Patton: Es ist eine Tatsache und ein Gewinn: Die Komplexität ist nicht gegen uns, sondern bereichert. In ihr liegt eine Chance: Als Minderheit können wir eine bescheidene, aber wichtige Rolle spielen durch den konstanten Dialog. Als Franziskaner ist dieser Dialog Teil unserer Geschichte und Berufung. Vor 800 Jahren kamen die ersten Franziskaner mit einer Idee ins Heilige Land, die Franziskus mit dem lateinischen Wort "Inter" ausdrückte. Wir leben nicht über oder vor den anderen, sondern zusammen mit ihnen, auf der Suche nach dem rechten Weg, ihnen zu dienen.
KNA: Wohin geht der Weg der Kustodie in den nächsten Jahrzehnten?
Patton: Die Zukunft liegt in der Hand Gottes. Was ich aber sagen kann: Wir leben einen speziellen Moment, insbesondere wohl für dieses Land, der Probleme und Chancen mit sich bringt.
KNA: Welche?
Patton: Wir sind hier und jetzt in diesem Moment auf einem guten ökumenischen Weg. Ich sehe die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften auf höchster Ebene als sehr gut. Alle scheinen offen für diesen Weg, so dass ich hoffe, dass Jerusalem in Zukunft ein Zeichen der Einheit für die ganze Kirche werden wird. Jerusalem ist die Mutterkirche für alle Kirchen und ein solches Zeichen daher von besonderer Wichtigkeit: Wenn wir hier gemeinsam voranschreiten, kann das allen eine Hilfe sein, das Ziel der Einheit nicht nur als Traum zu sehen. In Zukunft werden wir auch den Dialog zwischen den beiden anderen Gemeinschaften, Juden und Muslimen, verbessern helfen müssen, denn die Identität dieses Ortes ist nicht eine einzige.
KNA: Was genau meinen Sie damit?
Patton: Nehmen wir Jerusalem: Wenn man die komplexe Identität der Stadt auf eine ihrer Komponenten reduzierte, beginge man nicht nur einen historischen Fehler, sondern handelte gegen das friedliche Zusammenleben. Jeder muss die jeweils anderen akzeptieren. Das sagen wir Christen aus der Minderheitenperspektive, aber auch Juden und Muslime müssen darauf hinarbeiten. Jeder von uns muss die beiden anderen Komponenten dieser kulturellen und historischen Identität akzeptieren. In den nächsten zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren wird es sehr wichtig werden, dass alle kulturellen und religiösen Institutionen in diese Richtung gehen. Dies ist der Weg zum Frieden.
KNA: Statt Frieden herrscht in dieser Region viel Feindschaft, sogar Krieg. Wie sehen Sie die Zukunft der Christen hier?
Patton: Vor Problemen stehen wir insbesondere dort, wo Christen unter Druck stehen. In Aleppo lebten vor dem Krieg 300.000 Christen, heute sind es 40.000. Aber: Diese Christen leben noch dort und bezeugen die christliche Hoffnung. Jesus vergleicht die Zeit, in der wir leben, mit einer schwangeren Frau: Auf die große Sorge folgt die Freude über das Neugeborene. Wir haben Angst, weil unser Leben sehr kurz ist. Gott hat eine andere Dimension von Zeit. Wie er die Geschichte führt, können wir erst postfactum verstehen. Wir müssen die Hoffnung in die einheimischen Christen bewahren und ihnen gute Gründe zum Bleiben geben. Aber wenn wir kein Gottvertrauen, Glauben und Hoffnung haben, sind unsere Strategien zum Scheitern verurteilt.
KNA: Sehr erfolgreich zum Ende gebracht wird dieser Tage die Restaurierung der Grabkapelle, getragen von Lateinern, Griechen und Armeniern. Wie erleben Sie diesen Schritt?
Patton: Das ist ein historischer Moment. Das Abkommen dreier christlicher Konfessionen wurde möglich, weil ihre drei Oberhäupter im Dialog stehen und gute Beziehungen pflegen. Historisch ist es, weil die Ädikula die wichtigste Stätte für alle Christen ist. Interessanterweise wurde der Zeitplan der Arbeiten eingehalten, was durchaus nicht selbstverständlich ist. Es zeigt, wie sehr alle Beteiligten sich der Bedeutung der Arbeiten bewusst sind. Auf der Ebene der Kirchenführer haben wir während des Prozesses einen echten Austausch und brüderlichen Dialog erlebt. Diese Beziehung ist in gewisser Weise wichtiger als die physische Restaurierung. Wo Freundschaft und Brüderlichkeit herrschen, gehen wir einen wichtigen Schritt voran. Und schließlich hat für mich der Zeitpunkt etwas Prophetisches. In diesem Jahr feiern wir, trotz zweier verschiedener Kalender, am selben Tag Ostern. In hoffentlich nicht allzu ferner Zeit werden wir nicht nur am selben Tag, sondern gemeinsam feiern.Wir müssen nur der Vorsehung folgen, die Gott uns hier vorzeichnet.
Das Interview führte Andrea Krogmann.