domradio.de: Was war damals für Sie der Auslöser, sich mit Eugen Drewermann überhaupt auseinanderzusetzen?
Manfred Lütz (Psychiater und katholischer Theologe): Ich habe damals das Klerikerbuch gelesen, weil es ja sozusagen um eine Psychoanalyse der Kleriker ging, und war so entsetzt über die fachlichen Fehler, die da drin standen, dass ich zunächst mal Eugen Drewermann privat geschrieben habe und ihn um ein Gespräch gebeten habe. Das hat dann irgendwann nach einigen Komplikationen auch in seiner Wohnung stattgefunden, weil ich erst mit ihm reden wollte, bevor ich über ihn rede. Aber es war eigentlich ein Dialog gar nicht möglich, weil er völlig an seine Begrifflichkeiten gebunden war und so eine absolute Sicht von seiner Meinung hatte, dass das überhaupt nicht veränderbar war. Es gibt eine Stelle im Klerikerbuch, da hat er offensichtlich eine endomorph-depressive Frau psychoanalysiert und das ist lebensgefährlich, wie wir Fachleute wissen. Und die hat sich nachher umgebracht und das hat er der Mutter vorgeworfen - die hatte eine Mutterproblematik gehabt. Und das fand ich richtig gefährlich. Ich habe das auch anderen Kollegen gezeigt und deswegen versucht, mit ihm darüber zu sprechen, weil er ja noch nicht mal eine abgeschlossene Ausbildung hat.
domradio.de: Eugen Drewermann wird meistens als Psychoanalytiker und Theologe vorgestellt. Beides kritisieren Sie. Trägt er den Titel Psychoanalytiker zu Recht?
Manfred Lütz: Naja, dieser Titel ist nicht so geschützt, aber er hat seine psychoanalytische Ausbildung, das hat er selbst mal an entlegener Stelle geschrieben, abgebrochen. Er ist sehr kenntnisreich - es geht überhaupt nicht darum, Eugen Drewermann jetzt noch im Nachhinein irgendwie nieder zu machen. Es gibt Menschen, die durch ihn zum Glauben gekommen sind. Er hat mit einer ungeheuren Belesenheit versucht, neue Perspektiven der Heiligen Schrift zu sehen. Er hat das mit einer etwas konservativ-starren Art gemacht. Er hat sozusagen die konservativen katholischen Dogmen aus seiner konservativen Struktur rausgeworfen und dann psychoanalytische Dogmen - ein Patchwork aus C.G. Jung, Freud - da rein getan. Das aber mit einer Rigidität vertreten, die auch wissenschaftlich bedenklich ist.
domradio.de: Drewermann war aber eben auch katholischer Priester und Sie stellen die These auf, er habe sich das Priesteramt quasi selbst entzogen. Wie meinen Sie das?
Manfred Lütz: Ja, das war ganz spannend. Ich habe mich dann damals sehr mit ihm beschäftigt. Ich habe im Fernsehen mit ihm diskutiert, auch mit seinem Doktorvater. Ich glaube, dass der Ursprung war, dass irgendwann der Erzbischof bei einer Visitation ihm gesagt hat: "Ihre Schriften werden in Rom gelesen." Also drohend. Das hat ihn, glaube ich, erschüttert, weil er so ein ganz Konservativer war. Dann ist er in so eine Art prophylaktische Aggressivität gekommen, weil er, glaube ich, doch sehr verletzbar ist. Und hat dann in einer unglaublich aggressiven Weise auf die Kirche und den Erzbischof eingeschlagen und hat sich dann - das klingt absurd, aber das ist wirklich so - die Lehrbefugnis sozusagen selbst entzogen, bevor sie entzogen wurde.
domradio.de: In den Medien wurde Eugen Drewermann damals oft als Opfer der katholischen Kirche angesehen - Sie sagen, die Medien sind hier selbst zum Opfer oder Instrument von Drewermann geworden …
Manfred Lütz: Ich habe das selbst erlebt. Ich war beim WDR, da sollte er auftreten und ich sollte ihn kritisieren. Da hat er, ich glaube, drei Tage vorher abgesagt. Und dann waren die beim WDR so sauer, dass die gesagt haben: "Wir laden den nie mehr ein." Also, er hatte auch einen Umgang mit Medien, der problematisch war. Und er war eben auch oder ist nicht dialogfähig. Das ist ein riesiges Problem.
domradio.de: Damals haben Sie erklärt, Drewermann habe der Kirche geschadet. Glauben Sie das immer noch nach 25 Jahren?
Manfred Lütz: Ja, das glaube ich. Er hat damals einfach alle Klischees bedient und die Medien haben das dann aufgegriffen. Das sollen sie auch tun. Und es war natürlich attraktiv: Ein katholischer Priester erklärt, dass die Kirche nicht christlich ist. Und die Kirche reagierte tatsächlich total hilflos. Das war so ein Schauspiel, dass man sich Monate angesehen hat, und als dann irgendwann klar wurde, dass der gar nicht mehr katholisch ist und gar nicht katholisch sein wollte, war dann auch das mediale Interesse schlagartig vorbei. Was auch etwas tragisches hat. Ich habe Eugen Drewermann immer als einen tragischen Fall erlebt. Ich bin ihm gar nicht böse, weil ich habe ihn immer als leidenden Menschen erlebt, der auch an seiner eigenen Verletzbarkeit leidet. Auch unbeabsichtigt von Kirchenleuten, die diese dünne Haut nicht richtig beachtet haben. Und da hat sich dann ein tragischer Clinch entwickelt, so dass Eugen Drewermann für die Kirche nicht fruchtbar werden konnte. Und Eugen Drewermann ist dann auch immer weiter seinen engen Pfad gegangen. Inzwischen weiß ja kein Mensch mehr was von ihm. Also, es ist auch eine Tragödie.
Das Interview führte Hilde Regeniter.