Die ersten Sätze aus Luthers Freiheitsschrift waren und seien für ihr politisches Leben prägend: "'Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.' Und zugleich: 'Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.'", schreibt Merkel in einem Beitrag, der am Freitag in einer Sonderbeilage des Berliner "Tagesspiegel" zum Evangelischen Kirchentag erschien. Diese Worte seien ihr ein Kompass, "den Mut zu haben, von der eigenen Freiheit Gebrauch zu machen". Zugleich sei es keine Freiheit von etwas, "sondern eine Freiheit zum Dienst für die Menschen, die uns anvertraut sind", führt Merkel aus.
Sie sehe dabei Luthers Mahnungen, dass jeder sich täglich hinterfragen müsse, nicht als übertriebene Selbstzweifel, schreibt die Kanzlerin. Vielmehr führe das Ringen um Antworten nicht zu einer lähmenden Skepsis, sondern zeuge von Tatkraft und dem Glauben in die Veränderung zum Guten.
Zugang zu Luther
"Diese Mischung aus selbstkritischem Hinterfragen und anpackender Zuversicht hat mir einen Zugang zu Luther eröffnet, dem ich bis heute Orientierung verdanke", schreibt Merkel weiter. Zugleich verweist sie auf die "dunklen Seiten des Reformators". Vor Luthers Hass auf Juden und Türken und vor der Ablehnung der Kirche, in der er aufwuchs, dürfe man nicht die Augen verschließen. "Es ist gut, dass heute Staat und Kirche getrennt sind", hält Merkel fest.
Sie freue sich auf ein "Reformationsjubiläum, das konfessionelle Gemeinsamkeiten auslotet, die Freiheit des Christenmenschen in den Mittelpunkt stelle und das Lutherbild und das, was der Reformator uns bedeutet, intensiv diskutiert", schließt die Kanzlerin. Zum Evangelischen Kirchentag vom 24. bis 28. Mai in Berlin und Wittenberg werden mehr als 100.000 Teilnehmer erwartet.