Hier spricht durch Papst Franziskus der Jesuit Jorge Mario Bergoglio: Wiederholt hat sich der 80-Jährige skeptisch gegenüber Privatoffenbarungen geäußert. Maria sei keine Botin, die an bestimmte Seher zu bestimmten Tageszeiten Botschaften übermittele. Das sei "nicht christliche Identität", so Franziskus. Das letzte Wort Gottes heiße Jesus - "und nichts darüber hinaus".
Noch deutlicher wurde Franziskus im November 2013, als er sagte: "Maria ist doch eine Mutter, die uns alle liebt, und keine Oberpostbeamtin, die uns täglich Botschaften schickt!" Marienerscheinungen werden seit dem 18. Jahrhundert zu den "Privatoffenbarungen" gezählt. Als solche werfen sie theologische Probleme auf - da Gottes Offenbarung nach kirchlicher Lehre mit dem Tod des letzten Apostels an ihr Ende gekommen ist.
Wiederkehrendes Muster
Das kirchliche Lehramt trennt scharf zwischen Offenbarung und Privatoffenbarungen. Letztere können die ursprüngliche Offenbarung nur in Erinnerung rufen, erklären oder aktualisieren. Laut Weltkatechismus steht es jedem Katholiken frei, an solche Privatoffenbarungen zu glauben oder nicht - selbst wenn die Kirche sie als gesichert ansieht. Das gilt etwa auch für das südfranzösische Lourdes. Dort soll der Schafhirtin Bernadette Soubirous 1858 insgesamt 18 mal Maria als die "Unbefleckte Empfängnis" erschienen sein.
Kritiker wie der britische Historiker David Blackbourn (67) sehen in Lourdes eine Art Schema aller nachfolgenden Marienerscheinungen: eine einfältige Seherin aus dem Volk, geprägt durch Armut, Krankheit, Vernachlässigung und rohe Behandlung durch Eltern und Umwelt; Mitteilung einer frommen Botschaft, Heilwasser und Bau eines Heiligtums (Quelle und Kapelle); Ablehnung durch den Pfarrer und die Zivilbehörden, Berichte von Wunderheilungen und schließlich die Errichtung eines offiziellen kirchlichen Kults.
Entwicklung von Marienerscheinungen
Marienerscheinungen konkurrieren in der Volksfrömmigkeit mit den sogenannten Gnadenbildern, bei denen sich um ein Bild oder eine Statue der Muttergottes eine Wallfahrtsstätte entwickelt. Erste Berichte über Marienerscheinungen lassen sich bis ins frühe Christentum zurückverfolgen. Bereits im Jahr 41 soll Maria dem heiligen Jakobus auf einer Säule erschienen sein, während er in Spanien missionierte. Das Mittelalter hindurch blieb der typische Marien-Visionär männlich, erwachsen, zumeist Kleriker.
Erst relativ spät setzte sich das moderne Erscheinungsbild durch: Mädchen aus dem einfachen Volk sind die "Auserwählten", Hirten zumeist, der Ort einsam gelegen in Wald und Flur. Beispiele sind das Alpendorf La Salette 1846, das Pyrenäendorf Lourdes 1858 oder das saarländische Marpingen 1876. Experten sehen die Erscheinungen in zeitlichem Zusammenhang mit wirtschaftlichen und politischen Krisen: Hungersnöten, Cholera, Missernten. Eine Häufung gebe es in den 1860er und 1870er Jahren, im Ersten Weltkrieg oder dem Krisenjahr 1933.
Ihre Zahl geht europaweit in die Hunderte, mit Spitzen in den katholischen Ländern Italien und Frankreich. Aber auch aus Lateinamerika, Afrika und Asien gibt es einschlägige Berichte. Dennoch erlangten nur die wenigsten Erscheinungen eine kirchliche Approbation. In Frankreich waren es La Salette, Lourdes (1862) und Pontmain (1871). Mit ihnen wurde die Proklamation des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis von 1854 vorbereitet beziehungsweise besiegelt. Zugleich gelang es den Bischöfen, die regelrechte Marien-Welle allmählich zu kanalisieren - etwa durch die Gründung von Marienkongregationen.
Kirchliche Anerkennungen
1930 wurden die Visionen von drei Hirtenkindern 1917 im portugiesischen Fatima kirchlich anerkannt; bald darauf die belgischen Erscheinungen von Beauraing 1932 und Banneux 1933. Sie alle ähneln dem Ablauf von Lourdes. Seitdem ist keiner weiteren Erscheinung die offizielle Genehmigung zuteilgeworden. Ein besonderer Fall ist Medjugorje. Hier dauern die angeblichen Erscheinungen nach Darstellung der Seher seit 1981 bis heute an; ein endgültiges Urteil durch den Vatikan steht noch aus.
Alexander Brüggemann