Zum Internationalen Tag der Familie

"Der Ort, an dem ich ich sein kann"

Was brauchen Kinder eigentlich, um glücklich zu sein? Wie entsteht Selbstsicherheit? Wie werden Ängste überwunden? Ein domradio.de-Interview zum Internationalen Tag der Familie mit dem Journalisten Heribert Prantl. 

Prantl: Familie ist Heimat (KNA)
Prantl: Familie ist Heimat / ( KNA )

domradio.de: Herr Prantl, hatten Sie eine glückliche Kindheit? 

Heribert Prantl (Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung): Ja, ich bin in einer Familie groß geworden mit unendlich vielen anderen Kindern. Meine Großmutter hatte 15 Kinder. Entsprechend hatte ich viele Cousins und Cousinen. Ich bin groß geworden in einem Leben, das sehr geborgen war. Es war auch sehr wild, auch sehr abwechslungsreich, aber ein Ort, an dem man Sicherheit und Selbstsicherheit erfahren hat. 

domradio.de: Sie sagen in Ihrem Buch "Kindheit. Erste Heimat", Kinder brauchen Sicherheit aber auch Heimat, um glücklich zu sein. Was verstehen Sie darunter?

Prantl: Ich glaube, Familie soll ein Ort sein, der Kindern Schutz und Nähe gibt. Es klingt ein bisschen pathetisch. Ich sag es aber trotzdem, weil mir der Ausdruck gut gefällt: Familie ist jeder Ort an dem der Mensch zu Ende geboren werden kann. Jeder Ort, an dem Kinder das erfahren, ist Familie - ganz gleich, ob es die klassische Familie ist, die vielen als heilige Familie gilt - also Vater, Mutter und Kind oder Kinder - oder, ob es andere Konstellationen sind. Jeder Ort, an dem Kinder erfahren: Ich bin wertvoll und ich kann dem Leben vertrauen, ist als Familie schützenswert und er ist Heimat. Kinder müssen in den ersten Jahren ihres Lebens erfahren, dass sie heimatlich groß werden, dass sie geborgen sein können, dass sie eine Umgebung haben, der sie vertrauen können und in der sie sich wohlfühlen können. Gute Kindheit ist für mich eine Kindheit, in der die Kinder möglichst wenig Angst haben müssen.

domradio.de: Angst spielt für Sie eine sehr große Rolle. Warum ist das so? 

Prantl: Weil Kinder Ängste haben und weil sie in ihren Ängsten zu Personen gehen sollen, denen sie Vertrauen entgegen bringen können und die ihnen die Angst nehmen. Auch die Schule etwa darf kein Ort der Angst sein: Ein Schüler muss die Gewissheit haben, dass er sich mit seinen Lücken, mit seinen Schwächen, mit seinen Ängsten, mit seiner Neugier, mit seinen Fragen, mit seinen Unvollständigkeiten dem Lehrer zeigen darf, ohne dass ihm diese Lücken und diese Ängste um die Ohren geschlagen werden. Und es soll zu Hause Leute geben können, zu denen Kindern gehen können in Ihrer Angst und die ihnen die Angst nehmen. Oft sind es Geschichten, die die Angst nehmen. Oft sind es wunderbare Bilderbücher. 

domradio.de: Sie sagen ja auch, die moderne Arbeitswelt ist eine Bedrohung für ein lebendiges Familienleben. 

Prantl: Ja, weil die moderne Arbeitswelt so organisiert ist, dass sie Bezugspersonen wegnimmt. Und weil sie so organisiert ist, dass Wirtschaft mehr zählt als Familie. Darum bin ich auch der Meinung, dass die beste Familienrechtspolitik rechtlich stabile Arbeitsverhältnisse sind. Die beste Familienpolitik sind Arbeitszeitverkürzungen und flexible Arbeitszeiten, die sich an familiären Bedürfnissen orientieren. Die beste Familienpolitik - um das jetzt sehr zuzuspitzen - ist eine Ausweitung der Mitbestimmung, weil nur dadurch die Wirtschaft zu ihrem Glück gezwungen werden kann; nämlich, Arbeit wirklich familienfreundlich zu gestalten und so, dass Eltern, Bezugspersonen, Vertrauenspersonen Zeit für ihre Kinder haben. 

domradio.de: Wo liegen denn für die christlichen Kirchen in ihren Augen die Herausforderungen, um auch für Familien in Zukunft eine Heimat zu sein? 

Prantl: Wirklich unterstützend tätig zu werden. Den Familien zu helfen, die sich schwer tun, Kinder so zu betreuen, dass diese Ansprüche, die ich eben formuliert habe, erfüllt werden können. Da können ganz viele Angebote gemacht werden, auch in dem Bereich, in dem die Kirchen und Religionsgemeinschaften wirklich stark sind, nämlich im Bereich der Kindertagesstätten. Hier sollten die Kirchen Angebote schaffen, die im allerbesten und großzügigsten Sinne unterstützend sind. 

domradio.de: Was hat Sie bewogen, ein Buch über das Thema zu schreiben? 

Prantl: Weil der Begriff Heimat so unglaublich wichtig ist und weil ich selbst in meiner Kindheit erfahren habe, wie gut das Fundament sein kann, das eine solche Familie bietet. Wie wichtig es ist, wenn man aus der Familie herauskommt, und sagen kann: Ich habe ein Fundament, auf dem ich stehen und ins Leben gehen kann.

domradio.de: Und der Begriff Heimat wird hier anders genutzt, als das die Rechspopulisten tun? 

Prantl: Ja! Heimat ist nichts tümliches an sich, hat nichts mit Folklore und Trara zu tun. Sondern Heimat ist wirklich der Ort, an dem ich ich sein kann und an dem ich mein Leben entwickeln kann. Deswegen ist Familie in ihren vielen verschiedensten Formen nicht festgelegt auf Vater, Mutter, Kind. Sie ist der Ort, an dem das Leben geformt wird. Und weil mir diese frühe Formung, dieses frühe Vertrauen so wichtig ist, habe ich mich intensiver damit beschäftigt.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Ausgezeichnet: Journalist Heribert Prantl / © Lukas Barth (KNA)
Ausgezeichnet: Journalist Heribert Prantl / © Lukas Barth ( KNA )
Quelle:
DR