domradio.de: Wenn wir aus dem Studiofenster gucken sehen wir den Dom, das Domhotel, die Einkaufsstraße. Vor 75 Jahren bot sich ein anderer Blick. Wie sah das, was wir heute kennen, am Morgen des 31.05.1942 aus?
Martin Rüther (wissenschaftlicher Mitarbeiter am NS-Dokumentationszentrum in Köln): Der Dom stand noch, aber ansonsten sah es um den Dom herum und an den zentralen Plätzen der Innenstadt komplett anders aus: Zu dem Zeitpunkt brannte und qualmte es noch. Köln hatte über Nacht sozusagen sein Gesicht verloren.
domradio.de: Wie kam es, dass ausgerechnet der Dom noch stand?
Rüther: Das kam eher einem Zufall gleich und war der Bauweise und Statik des Doms zu danken. Man hat ihn nicht bewusst stehengelassen oder als Zielmarkierung genutzt. Das kann man auch aus 3.000 Meter Höhe nicht bestimmen. Dass der Dom noch stand, ist also purer Zufall gewesen.
domradio.de: Sie haben mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen. Inwiefern prägt die Menschen diese Nacht heute noch?
Rüther: Der Angriff der 1.000 Bomber selbst war von seinen Auswirkungen natürlich vollkommen neu und ungeahnt und bei Weitem nicht das, was die Kölner noch erwarten sollte. Aber für das Bewusstsein der Kölner war er ganz einschneidend, weil so etwas vorher noch nicht da gewesen war, damit hatte keiner gerechnet, das hatte sich keiner so vorgestellt. Diese Erfahrung blieb in den Köpfen der Kölner und ist bei den Zeitzeugen bis heute präsent. Diese Nacht hat für den Rest des Krieges, der ja noch drei Jahre dauern sollte, ein ungeheuer großes Gefühl der Angst und Hilflosigkeit in den Köpfen und in der Psyche hinterlassen. Die Stadt hat über Nacht ihr Gesicht verloren, was natürlich viele Kölner in Trauer versetzte. Alles war kaputt: die romanischen Kirchen, zentrale Plätze, historische Gebäude, Krankenhäuser, aber auch die Infrastruktur. Denn in der Nacht sind alle 14 großen Kaufhäuser der Innenstadt auf einen Schlag zerstört worden; von den ganzen kleinen Geschäften gar nicht zu sprechen. Der Anschlag war auch für die Luftfahrtgeschichte eine ganz neue Erfahrung, die auf einer veränderten Taktik der britischen Royal Air Force beruhte.
domradio.de: Köln wurde viel öfter als jede andere deutsche Großstadt angegriffen. Warum?
Rüther: Das hat sicherlich viel mit der Lage Kölns zu tun. Die Stadt war von Großbritannien aus zunächst sehr leicht zu erreichen. Die Briten haben ja immer Nachtangriffe geflogen und der Rhein war in klaren Nächten ein deutlich sichtbares Band, das heißt die Zielorientierung war leichter. Es war oft auch vom Wetter abhängig und von den Reichweiten der Flugzeuge. Zum Beispiel sollte dieser Tausend-BomberAngriff, der in Großbritannien ja lang und akribisch geplant war, gar nicht auf Köln stattfinden, sondern auf Hamburg. Erst am Tag zuvor ist aufgrund der Wetterprognosen Köln als Ziel gewählt worden. Man sieht daran also, dass Köln für britische Verbünde relativ einfach und schnell zu erreichen war. Neben den Angriffen gab es für die Kölner auch noch eine weitaus höhere Zahl an Alarmen. Man muss sich vorstellen, dass die Kölner im Grunde ab 1941/1942 kaum noch schlafen konnten, weil ständig nachts Alarme losgingen.
domradio.de: Sie arbeiten das Thema auf und bieten ein Programm rund um diese Nacht an. Wie sieht das aus?
Rüther: Es gab einen Vortrag mit Videointerviews von Zeitzeugen, die ich befragt hatte, dann hat das NS-Dokumentationszentrum unter Federführung von Karola Fings eine Datenbank von Kriegsopfern im weitesten Sinne aufgebaut, die nun auch online gegangen ist auf unserer Website (https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum). Dort sind auch die Toten der Bombenangriffe verzeichnet und Frau Fings wird auch eine Führung auf dem Westfriedhof anbieten, wo die Gräberfelder liegen. Dann wird Hermann Rheindorf in der Volksbühne am 28. Juni einen Dokumentarfilm über Köln im Zweiten Weltkrieg von 1942-1945 zeigen.
Das Interview führte Verena Tröster.