Sava Lelcaj freute sich, als die Beamten der US-Einwanderungspolizei ICE in ihrem kleinen Restaurant in Ann Arbor im Bundesstaat Michigan zum Frühstück einkehrten. Eier und Speck, Waffeln und Toast - die Besitzerin des Restaurants kann sich noch genau erinnern. Auch daran, dass sich die Beamten sehr löblich über ihre Speisekarte äußerten.
Die letzten Bissen waren kaum verspeist, da war plötzlich Schluss mit den Nettigkeiten. Ohne Umschweife steuerten die Beamten auf die Küche zu und nahmen drei Männer fest. Eine "gezielte Festsetzungsaktion", schrieb tags darauf das lokale Blatt "Ann Arbor News".
Perfide Aktionen
Aktionen wie diese folgen einem Muster, schreibt der "Guardian". Es scheint, als eiferten die Einheiten der Einwanderungspolizei landesweit in einem internen Wettbewerb, wer auf die raffinierteste und perfideste Art Menschen ohne gültige Visa aufgreift.
Mütter und Väter werden im Beisein ihrer Kinder beim morgendlichen Abliefern der Kleinen im Kindergarten abgeführt. Selbst vor einem Zugriff im Krankenhaus scheuen sich die Beamten der Einwanderungspolizei nicht. In einem Fall nahmen sie einen Patienten mit, der kurz vor der Operation an einem gefährlichen Gehirntumor stand.
Solche Beispiele bringen sonst eher nüchterne Richter wie Stephen Reinhardt auf. In seinem Urteil im Fall eines 43-jährigen Mexikaners, der schon fast drei Jahrzehnte in den USA lebt, dessen Abschiebung er aber nicht verhindern konnte, spricht er Klartext: "Unmenschlich" und "im Gegensatz zu den Werten des Landes und seiner Rechtsordnung" stehe der polizeiliche Umgang mit Andres Magana Ortiz.
Helfen konnte er dem gebürtigen Mexikaner nicht. Das Schlimmste, was die Einwanderungsbehörde gegen Ortiz ins Feld führen konnte, war ein Alkoholdelikt am Steuer. Es liegt 14 Jahre zurück. Der Richter am 9. Bundesgericht in Los Angeles sieht in den Festnahmen der Einwanderungspolizei ICE nicht nur ein Vorgehen gegen die "bad hombres", sondern auch gegen die "good hombres".
Ausweitung von Verhaftungen
Die Ausweitung von Verhaftungen, die nun auch unbescholtene Bürger unter den Einwanderern ohne Papiere trifft, füllt inzwischen die Statistiken. Allein in den ersten 100 Tagen der Präsidentschaft Donald Trumps wurden nach Regierungsangaben mehr als 41.000 Menschen aufgegriffen und abgeschoben. Das ist eine Steigerung um 37,6 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Was noch schwerer wiegt, ist die Zunahme von Verhaftungen von Menschen ohne Vorstrafenregister. Fast 11.000 haben sich nichts zu Schulden kommen lassen und wurden dennoch festgenommen. Das sind mehr als doppelt so viele wie ein Jahr zuvor.
Juristen, Menschenrechtsgruppen, Städte, Gemeinden und auch die Kirchen protestieren gegen die Methoden der US-Einwanderungspolizei, die zu den wenigen gehört, die sich unter Trump über zusätzliche Mittel und Stellen freuen darf.
Die Zahl der sogenannten Sanctuary Cities (Zufluchtsstädte) wächst, die den Gesuchten einen geschützten Raum anbieten. Diese Form des zivilen Widerstands ist aber umstritten - auch innerhalb der katholischen Kirche. Der Bischof von Manchester (US-Bundesstaat New Hampshire), Peter Libasci, rät seinen Mitarbeitern vor einem konfrontativen Kurs gegen die Behörden ab. Die Ausrufung von Schutzzonen mache die Behörden erst richtig auf die Einwanderer aufmerksam.
Kardinal von Chicago stellt sich quer
Dagegen empfiehlt der Kardinal von Chicago, Blase J. Cupich, seinen Gemeinden, die Einwanderungsbeamten höflich zu bitten, nicht auf kirchliches Gelände zu kommen. Rechtlich ist das heikel, aber ein klares Signal dafür, wie der Umgang mit den Einwanderern ohne Papiere die Katholiken bewegt.
Was den Fall von Ann Arbor in Michigan betrifft, so mischt sich mittlerweile auch eine Portion Zynismus in die Praktiken der Einwanderungspolizei. Bei der Auswahl der Methoden und Techniken, wie Menschen ohne Papiere zu ergreifen seien, arbeite die Behörde variantenreich, erklärte eine ICE-Sprecherin. Dennoch wollte sie nicht bestätigen, dass die Beamten vor dem Zugriff in der Küche in dem Lokal auch die Vorzüge der Speisekarte genossen hatten.