Notfallseelsorger erinnert sich an das Axt-Attentat

"Menschliche Ohnmacht aushalten"

Nach dem Axt-Attentat von Würzburg vor einem Jahr war auch seelischer Beistand gefragt. Der Leiter der Notfallseelsorge in Unterfranken, Diakon Ulrich Wagenhäuser, hatte an diesem Abend Dienst. Ein Interview.

Reste eines Absperrbandes an der Zugstrecke bei Würzburg / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Reste eines Absperrbandes an der Zugstrecke bei Würzburg / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

KNA: Herr Wagenhäuser, Sie waren vor einem Jahr als Notfallseelsorger beim Würzburger Axt-Attentat im Einsatz. Mit welchem Gefühl sind Sie zum Einsatzort gefahren?

Ulrich Wagenhäuser (Leiter der Notfallseelsorge in Unterfranken​): Nach der Benachrichtigung, auf der Anfahrt - und dies ist eigentlich bei jedem Einsatz so - ist natürlich immer ein gewisses Gefühl von Anspannung vorhanden. Erst nach dem Eintreffen vor Ort erschließt sich einem dann die konkrete Einsatzsituation. So war es auch vor einem Jahr. Dann, wenn man die Lagebeurteilung beziehungsweise den Auftrag für die Notfallseelsorge durch die Einsatzleitung erhalten hat, verschwindet die Anspannung. Der Einsatz muss professionell angegangen und abgearbeitet werden. Hierfür sind ja die Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger ausgebildet.

KNA: Wie haben Sie damals dann den Einsatzort und die Einsatzkräfte erlebt?

Wagenhäuser: Ich habe an der Einsatzstelle professionelles Handeln der beteiligten Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste, etwa Malteser, Johanniter und Rotes Kreuz, erlebt. 

KNA: Was kann ein Notfallseelsorger tun - gerade wenn es um einen bisher noch nie dagewesenen Einsatz bei einem Terroranschlag geht?

Wagenhäuser: Notfallseelsorger sind Ansprechpartner, alleine durch ihre Präsenz vor Ort, für die unverletzt betroffenen Menschen beziehungsweise Zeugen. Die Seelsorger haben die Zeit. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich: Einige waren emotional aufgewühlt, einige vollkommen in sich gekehrt. Unsere Aufgabe ist das Zuhören, die Menschen durch unsere Anwesenheit und durch Gespräche zu beruhigen.

Auch gilt es, die Situation der menschlichen Ohnmacht mit auszuhalten. Ein weiteres Ziel ist es, die Betroffenen aus ihrer Handlungsunfähigkeit herauszuführen und mit ihnen dann zu überlegen, welche unterstützende Ressourcen es in den nächsten Stunden und in den Tagen danach geben kann.

KNA: Wie geht man selbst mit dem Erlebten nach so einem Einsatz um?

Wagenhäuser: Wie nach anderen Einsätzen auch, habe ich die Möglichkeit, mich im Familien- und Freundeskreis auszutauschen. Auch im Rahmen der kollegialen Beratung, mit einer 20-jährigen Einsatzerfahrung, mit einer fundierten Reflexion des Einsatzes und aus meinem Selbstverständnis als Diakon aus dem Glauben heraus, kann man solche Einsätze gut verarbeiten.

KNA: Sind Sie noch heute in Kontakt mit Menschen, die Sie vor einem Jahr betreut haben?

Wagenhäuser: Nein, denn das Selbstverständnis der Notfallseelsorge liegt primär in der Akutversorgung der unverletzt Betroffenen beziehungsweise der Zeugen. Die Notfallseelsorge ist dann nur eine gewisse Zeit flankierend beratend und unterstützend in der nachgehenden, seelsorgerlichen Betreuung tätig.

Das Interview führte Christian Wölfel.


Quelle:
KNA