Zur Bedeutung des Tempelbergs für das Judentum

"Beten ohne Angst vor Terroristen"

Der Tempelberg in Jerusalem: Immer wieder ein Ort der Gewalt. Abraham-Josef Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, spricht im Interview über die Bedeutung des Ortes und die nötigen Sicherheitsvorkehrungen.

Tempelberg in Jerusalem / © Sebi Berens (KNA)
Tempelberg in Jerusalem / © Sebi Berens ( KNA )

domradio.de: Der Tempelberg in Jerusalem gilt Muslimen und Juden als Heiligtum. Wie zuletzt gelangt er immer wieder durch negative Ereignisse in die Schlagzeilen, weil es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Niemand möchte zurückweichen und jedem ist der Ort sehr wichtig. Welche Rolle spielt er im Judentum?

Abraham-Josef Lehrer (Vorstand der Synagogengemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland): Am Berg Moriah, dem sogenannten Tempelberg, wurden laut der überlieferten jüdischen Geschichte beide Tempel erbaut. Dass später an gleicher Stelle eine Moschee errichtet worden ist, ist der Beginn der Problematik. Für diese beiden großen Religionen, Judentum und Islam, hat dieser Ort eine ganz besondere geschichtliche Bedeutung. 1967 hat die damalige Regierung Israels gesagt, die religiöse Verwaltung dieses Bezirks, dieser heiligen Stätten für Judentum und Islam, soll bei Jordanien bzw. einer beauftragten Stiftung verbleiben. Das hat im Großen und Ganzen über Jahrzehnte jetzt schon gut funktioniert.

Die aktuelle Problematik ist entstanden als zwei Polizisten Israels auf dem Tempelberg am Rande des Tempelbezirks erschossen wurden. Die israelische Regierung hat die Sicherheitsmaßnahmen erhöht. Man ist sich nicht sicher, ob sie mit der Stiftung oder den jordanischen Vertretern gesprochen hat.

Ich glaube, dass es wesentlich – und auch im Sinne der Muslime – ist, wenn man den Zugang zum Tempelberg so sichert, dass auch die Muslime, die tagtäglich dort beten, ihr Freitagsgebet dort verrichten möchten, das in Sicherheit tun können, ohne dass irgendwelche Terroristen diese Gebetszeiten stören können. Außerdem muss man sich, wenn man heute Mekka oder Medina aufsuchen will, auch dort sicherheitstechnisch überprüfen lassen.

domradio.de: Es geht um die beiden Tempel, die an dieser Stelle gestanden haben und zerstört wurden. Ist für das Judentum noch immer das, was von der Umfassungsmauer übrig geblieben ist und als "Klagemauer" bezeichnet wird, die wichtigste Gebetsstätte?

Lehrer: Ähnlich wie im Islam hat diese Klagemauer einen hohen symbolischen Wert, einen religiösen Wert für jeden Juden weltweit. Wenn er aus der hintersten Ecke der Welt nach Israel, nach Jerusalem kommt und die heiligen Stätten besucht, ist es für ihn eine Art Pflicht, an die Klagemauer zu kommen.

Ob man an den oberen, am Tageslicht befindlichen Teil oder an die Basis mit der alten Straße geht, kann man sicherlich diskutieren. Aber ich glaube, es ist eine Pflicht, wenn ich in Jerusalem bin, einmal die Klagemauer aufzusuchen. Das ist vergleichbar mit der Pflicht der Muslime, in bestimmte Moscheen oder einmal im Leben nach Mekka oder Medina zu reisen.

domradio.de: Was bringt es mir für mein Glaubensleben, meine Wünsche, meine Gebete auf einen Zettel zu schreiben und in die Ritzen zwischen den Steinen zu schieben?

Lehrer: Dass man hingeht und ein solches Zettelchen mit seinen Wünschen für seine Familie, für sein Auskommen schreibt und es in eine Ritze zwischen den Steinen der Klagemauer hineinsteckt, ist eine Tradition, kein wirklicher Teil der Religion. Damit übergibt man seinen Wunsch an Gott. Das ist eine andere Form des Gebetes.

Es gibt bestimmte Stellen in der festgelegten Liturgie des jüdischen Gottesdienstes, an denen jeder Gottesdienstteilnehmer persönliche Gebete an Gott richten kann. Diese hier ist eine schriftliche Form, seine Wünsche und Gebete herüberzubringen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR