Trotz heftiger Kritik aus dem In- und Ausland ist am Freitag in Venezuela die verfassungsgebende Versammlung (ANC) zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Als Präsidentin wurde die ehemalige Außenministerin Delcy Rodriguez gewählt. Entgegen ursprünglichen Planungen fand die Verfassungsversammlung nicht im Sitz des regulären Parlaments, sondern in einem anderen Regierungsgebäude statt.
An deisem Samstag wollten die Vertreter ihre Arbeit aufnehmen. Wichtigster Tagesordnungspunkt: Die Gründung einer Wahrheitskommission, die unter anderem die Umstände der Proteste aufklären soll. Der Jesuitenpater und Anhänger der sozialistischen Regierung, Numa Molina, segnete die Mitglieder der Versammlung.
Regierung bleibt bei der offiziellen Lesart des Maduro-Regimes
"Dank Hugo Chavez konnte diese verfassungsgebende Versammlung das Licht der Welt erblicken", sagte Ex-Außenministerin Rodriguez. "Ein Dank gebührt auch unserer Verfassung und unserem Präsidenten, der sich heute in einen Giganten verwandelt hat - mit der Hilfe von Abermillionen von Venezolanern", führte sie weiter aus.
Die Regierung bleibt bei der offiziellen Lesart des Maduro-Regimes, das von acht Millionen Teilnehmern sprach - trotz scharfer Kritik vonseiten der Opposition und der Kirche. Zudem gab es Aussagen eines Dienstleisters des elektronischen Wahlsystems, der von Manipulation der Teilnahmezahlen sprach.
"Klima der Spannung und der Auseinandersetzung"
Der venezolanische Bischof Mario Moronta hatte noch am Freitag diese Zahlen in Zweifel gezogen und erklärt, nicht einmal die Regierung glaube an diese Ziffern. Der Opposition drohte Rodriguez, all jene Kräfte zur Rechenschaft zu ziehen, die für einen Wirtschaftskrieg gegen das venezolanische Volk verantwortlich seien.
Wenige Stunden vor der geplanten konstituierenden Sitzung hatte der Vatikan die Regierung von Staatspräsident Nicolas Maduro in Venezuela zum Verzicht auf die verfassungsgebende Versammlung aufgerufen. Statt Versöhnung und Frieden zu fördern, nähre diese ein "Klima der Spannung und der Auseinandersetzung" und sei eine Hypothek für die Zukunft, erklärte das vatikanische Staatssekretariat. Nötig sei eine Verhandlungslösung zusammen mit einer Öffnung humanitärer Korridore für Lebensmittel und Medikamente, Neuwahlen, Respektierung des Parlaments sowie der Freilassung politischer Gefangener.
Heilige Stuhl: "tiefe Besorgnis"
All das war eigentlich schon einmal zugesagt worden, unter Federführung des Vatikan Anfang des Jahres. Doch die venezolanische Regierung hielt sich nicht an die in den Gesprächen mit der Opposition gemachten Zusagen. Stattdessen eskalierte die Lage weiter.
Weiter äußerte der Heilige Stuhl "tiefe Besorgnis" über die Radikalisierung und die sich verschärfende Krise im Land. Papst Franziskus beobachte die Lage intensiv und rufe Christen in aller Welt zum Gebet für Venezuela und seine Bevölkerung auf. Angesichts der steigenden Zahl von Toten, Verletzten und Festgenommenen appellierte der Vatikan an alle Seiten und besonders an die Sicherheitskräfte, keine Gewalt anzuwenden.
Generalstaatsanwaltschaft wurde am Samstag von Sicherheitskräften umstellt
Das könnte ein frommer Wunsch bleiben: Die Generalstaatsanwaltschaft wurde am Samstag von Sicherheitskräften umstellt. Dort befindet sich in der Person von Generalstaatsanwältin Luisa Ortega eine der letzten noch im Amt befindlichen Gegenspielerinnen der Sozialisten. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof aktivierte deshalb einen Schutzmechanismus für Ortega.
Seit Wochen gibt es in Venezuela Massenproteste gegen die sozialistische Regierung, die Anfang April vergeblich versucht hatte, das Parlament, in dem die Opposition seit den Wahlen 2015 die Mehrheit hat, auf juristischem Wege zu entmachten.
Mehr als 100 Menschen getötet
Maduro regiert seit Jahren mit Hilfe von Sonderdekreten und dem Ausnahmezustand am Parlament vorbei. Zudem sind seitdem keine Regional- und Kommunalwahlen mehr durchgeführt worden, obwohl diese längst überfällig sind. Stattdessen ordnete Maduro im Mai die verfassungsgebende Versammlung an, deren Teilnehmer am vergangenen Sonntag gewählt wurden. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Foro Penal wurden insgesamt schon mehr als 100 Menschen bei Protesten getötet.