KNA: Frau Fischer, der Schulanfang ist für alle Beteiligten eine spannende Sache. Wie stark sollten sich Eltern hier engagieren?
Roswitha Fischer (Bundesvorsitzende des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen): Der erste Schultag ist ein wichtiger Tag für die ganze Familie. Selbstverständlich müssen Eltern da präsent sein und ihr Kind in diesen neuen Lebensabschnitt begleiten. Das bedeutet aber nicht, dass sie von da ab quasi omnipräsent sind. Sie sollten ihre Kinder schon in Ruhe ankommen lassen in der neuen Umgebung. Sie sollten aber ein Umfeld schaffen, dass es den Kindern ermöglicht, sich rasch einzuleben. Dazu zählt etwa, dass zu Hause wertschätzend über Schule und Lehrkräfte gesprochen wird. Dazu zählt auch, dass Eltern mit ihren Kindern den Schulweg einüben, damit sie den dann alleine gehen können. Oder dass man gemeinsam Schulsachen und Materialien kauft.
KNA: Hat sich das Verhalten der Eltern in den vergangenen Jahren verändert?
Fischer: Ich beobachte einen Hang hin zu den Extremen. Es gibt heute mehr Eltern, denen der Schulalltag ihrer Kinder einfach egal ist. Umgekehrt gibt es aber auch mehr Eltern, die wegen jeder Kleinigkeit in der Schule aufkreuzen und dann auch noch sagen, dass "wir" nächste Woche einen Mathetest schreiben.
KNA: Nicht alle Kinder starten mit Begeisterung ins Schulleben. Manch einer tut sich erst einmal schwer in der neuen Umgebung. Inwiefern ist das normal, und wann sollten bei Eltern die Alarmglocken schrillen?
Fischer: Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben, tun sich erfahrungsgemäß schwerer. Aber die sind ja heute die Ausnahme. Normalerweise freuen sich Kinder auf den Schulanfang und kommen auch ziemlich schnell an. Die eine oder andere Anfangsschwierigkeit ist aber ganz normal. Im Klassenverband bilden sich Hierarchien heraus, das Verhältnis Schüler-Lehrer baut sich auf. Ich denke, bis Weihnachten sollte man den Kindern dafür Zeit geben. Problematisch wird es, wenn sich Kinder gar nicht von zu Hause lösen können, wenn es jeden Morgen ein Drama an der Haustüre gibt oder wenn gar Krankheitssymptome auftreten. Dann müssen Eltern nach den Ursachen forschen.
KNA: Wenn es Probleme gibt, an wen sollten sich die Eltern wenden?
Fischer: Erster Ansprechpartner sollte immer die Lehrkraft sein. Sie begleitet die Kinder ja bei der Eingewöhnung in den Schulalltag, sie bespricht und erklärt die Regeln und Entscheidungen, die diesen Alltag strukturieren. Und sie erkennt auch, wer sich leichter tut und wer mehr Hilfe braucht.
KNA: Manchmal scheint aber auch die Lehrkraft das Problem zu sein...
Fischer: Das gibt es natürlich auch. In solchen Fällen empfehle ich, zunächst mit den Elternvertretern Kontakt aufzunehmen, statt sofort zur Schulleitung zu laufen. So erfährt man schnell, ob nur das eigene Kind nicht mit der Lehrerin zurechtkommt oder ob das ein häufiges Problem ist, und kann dann gemeinsam nach Lösungen suchen.
KNA: Manche Kinder erzählen jeden Tag begeistert aus der Schule, andere geben sich eher zugeknöpft. Sollen Eltern trotzdem immer wieder nachfragen?
Fischer: Eltern kennen ja ihre Kinder. Aus den einen sprudelt es geradezu heraus, die anderen sind eher schweigsam. Da muss man dann gezielt nachfragen, um ein wenig mehr über den Schulalltag zu erfahren. Hellhörig sollten Eltern werden, wenn sich ansonsten lebhafte Kinder plötzlich zurückziehen und gar nichts mehr erzählen wollen.
KNA: Riskieren Eltern, die in so einem Fall nachhaken, nicht eine Abwehrhaltung?
Fischer: Ich denke nicht. Wichtig ist, dass Eltern ein ehrliches Interesse für den Schulalltag ihrer Kinder zeigen, dass sie ihnen zuhören und ihre Probleme ernst nehmen. Und wenn etwas schiefgelaufen ist, sollten sie nicht sofort schimpfen, sondern zusammen mit den Kindern überlegen, wie man es künftig besser machen kann. Sonst trauen sich Kinder nicht mehr, von Problemen zu erzählen.
KNA: Wie sieht es mit den Hausaufgaben aus? Wie stark sollten sich Eltern hier einbringen?
Fischer: Auch hier plädiere ich für den goldenen Mittelweg. Eltern sollten sich für die Hausaufgaben ihrer Kinder interessieren. Und wenn die Aufgaben zu Hause erledigt werden, dann sollten sie ein Umfeld schaffen, in dem die Kinder ungestört ihre Arbeiten machen können. Auf keinen Fall aber sollten sie ständig helfen oder gar die Aufgaben selber lösen. Hausaufgaben sind ja keine Beschäftigungstherapie, sondern dienen dazu, dass die Kinder das Gelernte selbstständig anwenden. Zum einen erfahren die Kinder selbst, ob sie den Stoff verstanden haben, zum anderen sind die Hausaufgaben eine wichtige Rückmeldung für die Lehrkraft. Wenn sie merkt, dass etliche Kinder Schwierigkeiten mit der Aufgabenstellung hatten, dann muss sie bestimmte Dinge noch einmal erklären. Das kann sie aber nur, wenn nicht die Eltern statt der Kinder die Hausaufgaben machen.
KNA: Zum Schulalltag gehört auch Streit zwischen den Schülern. Was ist letztlich harmlos, und was deutet auf ernstzunehmendes Mobbing hin?
Fischer: Der Begriff Mobbing hat sich in letzter Zeit zu einem Modewort entwickelt. Immer öfter werden Dinge als Mobbing bezeichnet, die sich bei näherem Hinsehen als harmlose Streitigkeiten herausstellen. Generell sollten Eltern in solchen Situationen erst einmal beruhigend wirken, statt durch Vorwürfe und Vorverurteilungen noch Öl ins Feuer zu gießen. Sie sollten ihren Kindern zeigen, dass man nach einem Streit erst einmal beide Seiten hören muss, um dann gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Natürlich gibt es Härtefälle, die Eltern ernst nehmen müssen, zumal, wenn es in den Bereich der digitalen Medien hineingeht. Dann müssen Eltern das Gespräch mit der Lehrkraft suchen, denn anhaltendes Mobbing muss in der Schule im Gespräch zwischen Lehrern und Eltern aufgearbeitet werden.