domradio.de: Eine zentrale Aussage ihrer aktuellen Studie: die rund 4,7 Millionen Muslime in Deutschland sind überwiegend gut integriert. Das überrascht, denn wir sprechen ja immer häufiger über Parallelgesellschaften und über junge Muslime, die sich radikalisieren, weil sie sich hier auch nicht zugehörig fühlen. Wie passt das zusammen?
Yasemin El-Menouar (Leiterin der Bertelsmannstudie): Ja das stimmt, wir haben tatsächlich eine Kluft zwischen der öffentlichen Wahrnehmung des Islams und der Lebensrealität. Deshalb ist es auch wichtig mit Daten und Fakten zu schauen, wie es tatsächlich aussieht und die Wahrnehmung und öffentlichen Debatten zu versachlichen. Ein Aspekt ist natürlich auch, dass wir in den letzten Jahren häufig nur über Probleme sprechen, die auch passieren, aber das ist eben nur ein Ausschnitt. Wir zeigen mit der Studie das ganze Bild und sehen, dass Integration von Muslimen in Deutschland und anderen europäischen Ländern deutliche Fortschritte gemacht hat.
domradio.de: Ein Kritikpunkt Ihrer Studie ist der Bildungsbereich: Muslime in Deutschland schaffen vergleichsweise seltener einen Schulabschluss, beispielsweise die Realschule, woran liegt das?
El-Menouar: Wir haben gesehen, dass eigentlich in allen untersuchten Ländern, Muslime in der Bildung zunehmend aufholen, eine gewisse Bildungsmobilität zeigen. Das läuft aber nicht in allen Ländern gleichermaßen schnell. In Deutschland verläuft dieser Prozess etwas langsamer als beispielsweise in Frankreich und das liegt vor allem daran, dass das deutsche Bildungssystem stark nach sozialer Herkunft selektiert, weil Bildungsentscheidungen sehr früh getroffen werden. Nach der 4. Klasse wird über die Bildungskarriere der Kinder entschieden. In anderen Ländern wie Frankreich können die Kinder länger gemeinsam lernen. So können auch Muslime Startnachteile, die beispielsweise durch einen niedrigen Bildungshintergrund entstehen, wieder aufholen.
domradio.de: Erste Reaktionen auf Ihre Studie sehen den islamischen Religionsunterricht als Lösung für dieses Bildungsproblem. Halten Sie das für ein gutes Mittel, um vor allem da die Benachteiligung der Muslime zu verringern?
El-Menouar: Ich würde erst einmal diese beiden Faktoren ein Stück weit auseinander halten. Also wir haben einmal die Integration einer Einwanderergruppe. Muslime sind auch irgendwann aus verschiedenen Ländern nach Deutschland migriert, leben heute in der zweiten, dritten oder vierten Generation hier. Da sind klassische Einwanderungsfragen natürlich wichtig, wie zum Beispiel, wie schafft man es möglichst schnell an Bildung, Arbeit und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Eine andere Frage ist natürlich, wie integrieren wir eine relativ neue Religionsgemeinschaft in Deutschland. Diese beiden Faktoren werden häufig vermengt, aber sie sollten getrennt diskutiert werden. Wenn es um die Integration einer Religionsgemeinschaft geht, ist natürlich Folgendes wichtig zuschauen: Wie schaffen wir es, dass auch Muslime ihre Rechte als Religionsgemeinschaft wahrnehmen können und anderen Religionen gleichgestellt sind. Da ist natürlich die Einführung des islamischen Religionsunterrichtes ein Faktor, um in Richtung Gleichstellung zu gehen.
domradio.de: Ein Ergebnis Ihrer Studie ist auch: Muslime, die ihre Religion praktizieren, haben es in Deutschland beruflich schwerer als unreligiöse Muslime: Sie arbeiten seltener und verdienen im Schnitt weniger. Ist Religion ein Integrationshemmnis?
El-Menouar: Es ist tatsächlich so, dass religiöse Muslime, die ihre Religion ausüben, zum Beispiel täglich beten, es schwerer haben auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden, die auch ihrer Qualifikation entspricht. Und das hat zum Einen damit zu tun, dass muslimische Bewerber, die sichtbar religiöse Symbole tragen, wie ein Kopftuch, deutlich seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden. Zum Anderen fällt es religiösen Muslimen schwer, ihre religiösen Bedürfnisse mit einem Arbeitsalltag in Einklang zu bringen, weil sie zum Beispiel die Gebetszeiten nicht einhalten können. Da denke ich, ist Großbritannien ein gutes Beispiel im Umgang mit Vielfalt. Die gehen viel natürlicher mit Religion, mit religiöser Vielfalt und unterschiedlichen Kulturen um. Ein Beispiel dafür ist, dass britische Polizistinnen ein Kopftuch im Dienst tragen dürfen. Die sind auch schusssicher und in die Uniform integriert. Ich denke, soweit muss Deutschland natürlich nicht gehen, aber dennoch ist es wichtig an der Anerkennungskultur für Vielfalt zu arbeiten und die institutionelle Anerkennung der muslimischen Religionsgemeinschaften voranzutreiben.
domradio.de: Sie haben auch Nicht-Muslime befragt und demzufolge ist hierzulande die Ablehnung stark. Jeder fünfte Nicht-Muslim in Deutschland (19 Prozent) gab in Ihren Befragungen an, Muslime nicht als Nachbarn haben zu wollen. Heißt das, wir Deutschen haben unsere Hausaufgaben auch nicht gemacht?
El-Menouar: Ich denke Akzeptanz ist ein gegenseitiger Prozess und da ist dann auch die Gesamtgesellschaft gefordert. Wir müssen natürlich auch schauen, wie können wir denn neue Bevölkerungsgruppen oder eine neue Kultur integrieren. Hier ist eine größere Offenheit für Vielfalt von Nöten. Dass so viele Menschen ablehnen, Muslime als Nachbarn haben zu wollen, ist eine sehr negative Haltung und eine mangelnde Offenheit. Daran müssen wir arbeiten und dafür braucht es mehr an Kontakten. Wir sollten mehr Kontakte untereinander knüpfen und vor allem auch einen offenen Dialog führen über diese offenen Fragen und Ängste, die wir ja zum Teil haben.
Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.