Belgischer Orden verärgert Vatikan mit aktiver Sterbehilfe

Im Widerspruch

In Belgien und den Niederlanden fordern Patienten in christlichen Pflegeeinrichtungen aktive Sterbehilfe. Brüder des Ordens "Broeders van Liefde" möchte ihrem Wunsch nachkommen - gegen den Willen des Vatikan. 

Autor/in:
Franziska Broich
Ein "Sterbehilfe-Kit" aus Belgien  / © Etienne Ansotte (dpa)
Ein "Sterbehilfe-Kit" aus Belgien / © Etienne Ansotte ( dpa )

Alles begann mit einer Pressemitteilung. Kernpunkt der Veröffentlichung der "Broeders van Liefde" (Brüder der Nächstenliebe) vom April: Man werde aktive Sterbehilfe bei psychischen Leiden künftig nicht mehr ausschließen. Wichtig ist der Absender: der Verein "VZW Provincialaat der Broeders van Liefde". Er ist eng mit der belgischen Ordenskongregation verknüpft und offizieller Träger der Schulen und Krankenhäuser. Im Vorstand sitzen 11 Laien und 3 Ordensbrüder.

Umgehend folgte ein Brief der belgischen Bischöfe - mit einer klaren Stellungnahme gegen aktive Sterbehilfe in katholischen Pflegeeinrichtungen. Man wisse, dass psychische Leiden immens sein könnten. Umso wichtiger sei es aber, in dieser Situation bei den Patienten zu bleiben, nicht aufzugeben und palliativmedizinische Betreuung vorzuschlagen.

Im Widerspruch mit dem Ordensoberen

Die belgischen Brüder der Nächstenliebe blieben bei ihrer Position, obwohl sich der Ordensobere Rene Stockman in Rom klar dagegen aussprach. Stockman verlangte, dass sich die Brüder klar zur katholischen Lehre bekennen und das menschliche Leben vom "Moment der Empfängnis bis zum natürlichen Ende" schützen. Als sich nichts tat, suchte der Ordensobere Rat beim Vatikan.

Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, verfasste einen dreiseitigen Brief, der vom Papst genehmigt wurde und auf dessen Grundlage Stockman seine Leute aufforderte, ihre Position zur aktiven Sterbehilfe bei psychisch Kranken zu revidieren. Für die Antwort setzte er ihnen eine Frist bis Anfang September.

Aktive Sterbehilfe vs. Respekt des Lebens?

In einem Zeitungsinterview bekräftigte Stockman diese Aussage. Aktive Sterbehilfe stehe im Gegensatz zum Prinzip des Respekts des Lebens, das die Arbeit der Geistlichen leite. "Wir müssen sicher die Autonomie der Kranken respektieren, aber sie ist niemals uneingeschränkt", so Stockman. Er hoffe, dass der Vorstand seine Meinung ändere. Von vielen Mitarbeitern der Krankenhäusern sei er über den Sommer in seiner Position unterstützt worden. Ein Problem sei, dass ein Großteil der Personen im Vorstand keine direkte Erfahrung in der Pflege von psychisch Kranken hätten.

Der Ordensobere richtete seinen Brief an die drei Brüder im Vorstand des Vereins. Einer der drei, Luc Lemmens, ist gleichzeitig auch der Regionalobere des Ordens in Belgien. Sollten sich die Brüder nicht zur katholischen Lehre und dem Respekt für das menschliche Leben bekennen, sieht Stockman als letzte Konsequenz nur eine Trennung von dem Verein. "Das wäre sehr schlimm, weil 15 unserer psychiatrischen Krankenhäuser ihre katholische Identität verlieren würden", so Stockman.

Orden "Broeders van Liefde"

Seit der Gründung in Gent 1807 engagiert sich der Orden "Broeders van Liefde" besonders in der Pflege von psychisch Kranken. In Belgien betreuen sie 5.500 Patienten und sind in Flandern für ein Drittel der Betten im Bereich psychischer Erkrankungen verantwortlich. Insgesamt hat der Orden weltweit 603 Mitglieder und ist in 31 Ländern aktiv. 

Unter den Laien im Vorstand ist auch der frühere EU-Ratspräsident Herman van Rompuy. Eine Interview-Anfrage zu Entwicklungen der aktiven Sterbehilfe in Belgien lehnte er ab. Zuvor hatte er getwittert: "Die Zeiten von 'Roma locuta, causa finita' sind lange vorbei". Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, kritisierte diese Anspielung auf das sprichwörtliche Machtwort des Papstes. Aktive Sterbehilfe, wie sie in Belgien praktiziert werde, "ist und bleibt mit der katholischen Lehre nicht vereinbar", so Sternberg.

Aktiv Sterbehilfe in Belgien

In Belgien ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen seit 2002 legal, auch für Menschen mit einem unheilbaren psychischen Leiden. Insgesamt starben 2016 offiziell 2.024 Menschen durch aktive Sterbehilfe. Eine Aufschlüsselung für die Gründe liegt derzeit nur für 2014 und 2015 vor. In diesen Jahren nahmen die meisten Menschen aktive Sterbehilfe nach einer Krebsdiagnose in Anspruch (2.675). 3 Prozent der Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nahmen, litten an einer psychischer Krankheit.

Organisationen fordern immer wieder klarere Kriterien, wann sich ein Patient mit einer psychischen Krankheit in einer "medizinisch aussichtslosen Lage" befindet. Derzeit ist auch ein Fall von aktiver Sterbehilfe aufgrund psychischer Leiden vor Gericht anhängig. Tom Mortier sagt, seine Mutter, die 2012 nach aktiver Sterbehilfe starb, habe sich nicht in einer medizinisch aussichtslosen Lage befunden.

Sie habe lediglich vorübergehende psychische Erkrankungen gehabt, die heilbar gewesen wären. Mortier will den Fall vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg bringen.


Quelle:
KNA