Norbert Lammert blieb sich auch in seiner letzten Sitzung als Präsident des Deutschen Bundestags treu: Er mahnte, die Errungenschaften der parlamentarischen Demokratie zu wahren und forderte, selbstbewusst die Rolle des Parlaments zu stärken - auch bei der Kontrolle der Regierung: "Hier, im Deutschen Bundestag, schlägt das Herz der Demokratie."
Damit umriss er das Selbstverständnis seiner Amtsführung als zweiter Mann im Staat, die ihm parteiübergreifend in den vergangenen zwölf Jahren höchsten Respekt eintrug. Dabei verstand es der CDU-Politiker, seine politischen Ansichten mit Humor, Ironie und geschliffenen Formulierungen unterhaltsam zu vermitteln. Zugleich fand er bei tragischen Ereignissen oder schweren Parlamentsentscheidungen stets den angemessen Ton - ohne zu moralisieren.
"Der Unfehlbare"
Immer wieder wurde er als möglicher Nachfolger der Bundespräsidenten gehandelt - von Horst Köhler über Christian Wulff bis zu Joachim Gauck. Er habe der Regierung "wenn nötig den ihr im Grundgesetz zugewiesenen Platz zugeordnet", bekannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Dankadresse. Und der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann erinnerte daran, dass das Eintreten Lammerts für die Rechte des Parlaments - nötigenfalls auch gegen die Regierung - ihm den Beinamen "der Unfehlbare" eingebracht habe. Dies mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass ihm das höchste Amt im Staat versagt blieb.
Er scheint es verschmerzt zu haben. "Eine schönere, anspruchsvollere Aufgabe hätte es für mich nicht geben können", bekannte er. Der 68-jährige CDU-Politiker ist ein intellektueller Kopf, doch zugleich volksnah. Wie kaum ein anderer Parlamentarier hat der gebürtige Bochumer die Gabe der freien Rede. Seit 1980 gehört er dem Bundestag an.
Auch zum Abschluss mahnte er den Gesetzgeber zur größeren Achtung der Verfassung. Von der Asylgesetzgebung über die Föderalismusreform bis zum Länderfinanzausgleich habe man sich einen "einen allzu großzügigen Umgang" mit dem Grundgesetz angewöhnt. Sein Vorschlag, durch eine Wahlrechtsreform die Zahl der Abgeordneten zu begrenzen, fand kein Gehör mehr. Die Zahl der Lobbyisten, die Zugang zum Parlament haben, hat er begrenzt. Mehrmals legte Lammert sich auch mit der Bundeskanzlerin an - vom Atomausstieg bis zur Griechenlandhilfe. Zugleich forderte er die Beteiligungsrechte des Parlaments beim EU-Rettungsschirm ein.
Dem Kampf gegen Fanatiker stellen
Der scheidende Präsident ermutigte den Bundestag, auch in Zukunft beim Kampf gegen Fanatiker und Fundamentalisten den Konsens der Demokraten über den Wettbewerb der Gruppen zu stellen. In der Debatte um die AfD forderte Lammert von den Parteien klare Kante. Sie hätten auch die Aufgabe, "Antworten auf komplexe Fragen zu entwickeln, auch und gerade dann, wenn es dafür nicht bereits eine erkennbare Erwartung oder gar Mehrheit in der Bevölkerung gibt".
Auch von den Medien verlangte er mehr Aufmerksamkeit für das Parlament. So sorgte er für eine umfangreiche Präsenz des Bundestags im Internet und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen.
Das erste von sieben Kindern einer Bäckermeisterfamilie kann durchaus stolz auf seine Karriere sein. Von 1969 bis 1972 studierte Lammert Politik, Soziologie, Neuere Geschichte und Sozialökonomie in Bochum und für ein Semester in Oxford. Honorarprofessor, NRW-Landesgruppenchef der CDU im Bundestag, profilierter Kulturpolitiker, Staatssekretär und Bundesminister - so lauteten weitere Stationen.
Steter Gast auf Katholikentagen
Lammert gehörte zu der geringer werdenden Zahl katholischer Unionsabgeordneter, für die ihr Glaube auch öffentliche Relevanz besitzt. Seit Jahrzehnten tritt er auf Katholikentagen auf. Der einstige Stipendiat des bischöflichen Cusanuswerks lud Papst Benedikt XVI. zu einer Rede vor dem Bundestag ein. Auch an diese historische Visite erinnerte er abschließend nochmals.
Der Spitzenkandidat der Grünen, Cem Özdemir, äußerte in seinem Dank den Wunsch, weiterhin von Lammert zu hören. Der CDU-Politiker stellt sich zwar nicht mehr zur Wahl, er versprach aber, dem politischen Geschehen auch künftig verbunden zu bleiben.