"Den demokratischen Grundkonsens zu artikulieren ist schwieriger geworden", sagte Lammert zu Beginn der Bundesversammlung am Sonntag in Berlin. Es gebe immer mehr Einzelinteressen und es werde inzwischen eher das Trennende als das Einigende betont. "Das macht die Aufgabe des Bundespräsidenten nicht einfacher, aber seine Bedeutung im Verfassungsgefüge umso größer", sagte Lammert.
Die Bundesversammlung mache bereits durch ihre vielfältige Zusammensetzung die herausragende Bedeutung der Wahl des Staatsoberhauptes deutlich, führte Lammert weiter aus. "So wenig alltäglich das Zusammenkommen ist, so außergewöhnlich sind auch die Erwartungen an den Bundespräsidenten. Nicht selten sind es übertrieben hohe Ansprüche", mahnte Lammert.
Bedeutung des Bundespräsidenten heute größer
Lammert rief zudem zu mehr "Selbstkritik und Selbstkorrektur" auf. Die Werte des Westens hätten nichts an ihrer Gültigkeit verloren, aber die Haltung zu den Prinzipien der Demokratie hätte sich verändert, sagte Lammert im Bundestag. Die westliche Staatengemeinschaft und die deutsche, liberale Gesellschaft müssten sich daher immer wieder auf Rechtstaatlichkeit und die Prinzipien einer repräsentativen Demokratie besinnen, mahnte Lammert.
Der Parlamentspräsident, der auch der Versammlung zur Wahl des Bundespräsidenten vorsitzt, wandte sich in seiner Begrüßungsrede auch entschieden gegen Abschottung und Nationalismus und forderte ein Eintreten für die Europäische Union. Die wirklich großen Herausforderungen könnten nicht mehr von Nationalstaaten allein bewältigt werden. Lammerts Plädoyer gegen Abschottung und Populismus erntete stehende Ovationen der weit überwiegenden Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung.
Standing Ovations für Joachim Gauck
Derweil werde in einer Gesellschaft, die oft lieber das Trennende als das Gemeinsame betone, das Amt des Bundespräsidenten immer schwieriger. "Dabei ist die Zukunft heutzutage keineswegs offener als früher, sie war immer ungewiss", so Lammert. Die Zukunft scheine derzeit allenfalls unberechenbarer. Gewachsene Überzeugungen und Selbstverständlichkeiten würden infrage gestellt oder auch mutwillig gebrochen.
Lammert würdigte den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck für sein Außenmaß und seinen Respekt für den politischen Gegner in schwierigen Zeiten. "Sie haben die Gesellschaft auch immer wieder nachdrücklich in die Pflicht genommen, sich weder verängstigen noch spalten zu lassen", sagte Lammert, während die Mehrheit der Bundesversammlung Gauck, der noch bis 18. März im Amt ist, stehend applaudierte.
Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten
Der Bundespräsident wird turnusgemäß alle fünf Jahre von der Bundesversammlung gewählt, die einzig zu diesem Zweck zusammentritt und sich aus den Bundestagsabgeordneten sowie ebenso vielen Delegierten aus den Ländern zusammensetzt.
Mit 1.260 Mitgliedern ist die diesjährige Bundesversammlung Lammert zufolge die drittgrößte in der Geschichte der Bundesrepublik.