Standpauke nach langem Schweigen: Mit beispielloser Klarheit hat die katholische Kirche in Polen die Stimmungsmache der nationalkonservativen Regierungspartei gegen Deutschland verurteilt.
"Das Kapital der Versöhnung und der Verbindungen muss beschützt und vermehrt werden zum Vorteil unseres Landes, das eine Mission zu erfüllen hat - die Mission, gegenüber den Unversöhnten in Europa und auf der Welt das Zeugnis der Versöhnung abzulegen", forderte am Freitag der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz gemeinsam mit vier weiteren katholischen Bischöfen. Ihr Appell richtet sich unmissverständlich an die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), obgleich kein Adressat genannt wird.
Recht auf "Kriegsreparationen"?
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski hatte bereits Anfang Juli Polens Anspruch auf deutsche Kriegsreparationen bekräftigt. "Polen hat nie auf Entschädigungen verzichtet", sagte er auf einem Parteikonvent und eröffnete damit eine Debatte. Anfang der Woche sprachen Innenminister Mariusz Blaszczak und Außenminister Witold Waszczykowski von möglichen Forderungen in Höhe von mindestens 840 Milliarden Euro für Polens immense Verluste durch den deutschen Vernichtungskampf im Zweiten Weltkrieg. Schließlich betonte am Donnerstagabend erstmals auch Regierungschefin Beata Szydlo, Polen habe das Recht, "Kriegsreparationen" zu fordern. Zunächst müsse allerdings das Parlament diese Frage klären.
2004 hatte Polens Parlament mit großer Mehrheit die damalige linke Regierung in Warschau aufgefordert, mit Berlin über Entschädigungszahlungen für den Zweiten Weltkrieg zu verhandeln. Auch der heutige EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk stimmte damals dafür. Doch die damalige Warschauer Regierung machte sich den unverbindlichen Beschluss nicht zu eigen und schonte so die deutsch-polnischen Beziehungen. Allerdings meinen Umfragen zufolge noch heute sehr viele Polen, ihrem Land stünden Kriegsreparationen zu.
Für gesellschaftliche Versöhnung einsetzen
Die Bischöfe gehen in ihrem Appell auf das Thema Reparationen selbst nicht ein. Vielmehr erinnern sie an die "patriotische Pflicht", sich für die gesellschaftliche Versöhnung zu engagieren. Dafür sollten "übertriebene politische Emotionen" abgebaut und die "für Polen unentbehrliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg" vertieft werden.
Die Versöhnung könne "leicht durch gedankenlose Entscheidungen und sogar durch übereilt ausgesprochene Worte verloren gehen", warnen die Bischöfe.
Die Art und Weise, wie "unerledigte Fragen" in den deutsch-polnischen Beziehungen angegangen würden, sei von enormer Bedeutung. "Man muss sie besonnen auf diplomatischer Ebene aufgreifen, um das mit Mühe gewonnene Vertrauen aufrechtzuerhalten und es nicht durch die Erregung negativer gesellschaftlicher Emotionen auf einer Seite zunichtezumachen", verlangen die Bischöfe. "Wir hoffen, dass auf dieser Ebene beide Seiten ihren Handlungsstil zugunsten des Friedens fortsetzen." Neben Kardinal Nycz unterschrieben den Appell die beiden anderen aktuellen Mitglieder der Bischofskonferenz-Kontaktgruppe für Deutschland sowie die ehemaligen Vorsitzenden der Kontaktgruppe, Ex-Primas Henryk Muszynski (Gnesen/Gniezno), und Erzbischof Wiktor Skworc von Kattowitz (Katowice).
Mit ihrer Zurechtweisung gehen die Bischöfe so sehr auf Distanz zur aktuellen Regierung wie noch nie. Im Wahlkampf 2015 sympathisierten viele Bischöfe mehr oder weniger offen mit der PiS und lobten anschließend die Kaczynski-Partei für ihre Regierungsarbeit.
Kritik auch an Flüchtlingspolitik
Inzwischen kritisieren Bischöfe jedoch die Weigerung der Regierung, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, ebenso wie die Justizreform.
Der Warschauer Politologe Klaus Bachmann erklärte unterdessen, Reparationsforderungen hätten nur Aussicht auf Erfolg, wenn sie auch von vielen Deutschen unterstützt würden. Die Bundesregierung wies die Forderung jedoch am Freitag zurück. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Deutschland stehe zu seiner Verantwortung für die "unfassbaren Verbrechen" des Zweiten Weltkriegs. Dafür seien Reparationszahlungen an Polen geleistet worden. Darüber hinaus leiste Deutschland weiter Zahlungen für die Folgen des NS-Unrechts, so Seibert. Polen habe jedoch 1953 auf weitere Forderungen verzichtet und dies mehrfach bestätigt. Aus Sicht der Bundesregierung sei die Frage damit abschließend geregelt.
Laut Bachmann zeige das Beispiel Griechenland indes, dass Reparationsforderungen keineswegs die bilateralen Beziehungen verschlechtern müssten. Die Bundesregierung habe nicht gezögert, Athen trotz seiner Reparationsforderungen sowohl in der Finanz- als auch in der Flüchtlingskrise zu unterstützen.