KNA: Herr Stutzky, welcher Feuerwehr-Einsatz ist Ihnen am stärksten in Erinnerung geblieben?
Oliver Stutzky (Diakon der Pfarreiengemeinschaft Sankt Martin in Donauwörth-Riedlingen): Der, als ich dabei das erste Mal einen Toten gesehen habe. Da war ich 16. Zusammen mit meinen Kameraden habe ich eine Frau geborgen, die mit ihrem Auto in einen Fluss gefahren war. Dass Einsätze länger im Kopf bleiben, ist nicht oft der Fall, da muss schon etwas Besonderes passiert sein. Aus den meisten Einsätzen ziehe ich Kraft.
KNA: Weil die alle gut ausgehen?
Stutzky: Schön wär's. Aber es ist eine wesentliche Bewältigungsstrategie von Einsatzkräften, den Kontrapunkt zum Leid zu sehen. Man sollte sich also klarmachen, dass man im Einsatz auch dann Gutes tut, wenn man niemanden mehr lebend retten kann. Man birgt würdevoll den toten Menschen, man kümmert sich um Angehörige. Das sind auch wichtige Aufgaben. Daran erinnere ich mich als Feuerwehrmann selbst regelmäßig und das vermittle ich als Feuerwehrseelsorger.
KNA: Welche Rolle spielt Ihr Glauben für Ihren Umgang mit dem Leid, dem Sie häufig begegnen?
Stutzky: Ich kann das Leid an Jesus weitergeben: im Gebet, in stiller Zwiesprache, einfach im Vertrauen darauf, dass er damit umzugehen und mich dadurch zu entlasten weiß. Jesus hat selbst alles Leid mitgemacht, das wir uns vorstellen können.
KNA: Hadern Sie wegen des Leides nicht auch mal mit ihm?
Stutzky: Nein. Erstens deshalb nicht, weil der Grund eines Unglücks ja oft klar ist: zum Beispiel, wenn jemand viel zu schnell und dann gegen einen Baum gefahren ist. Und zweitens gehört Leid eben zu unserer Welt dazu, warum auch immer. Ins Hadern komme ich bei anderen Sachen.
KNA: Bei welchen?
Stutzky: Bei Schaulustigen und Leuten mit egoistischen Ansprüchen, die machen mich wütend. Leider werden die Gaffer genauso mehr wie die Ansprüche größer. Das erste Problem hat mit den sozialen Medien zu tun, und zwar in doppelter Weise. Zum einen kriegt man da Likes für Unfallfotos, zum anderen stumpfen die Menschen umso mehr ab, je mehr schlimme Bilder sie im Netz sehen. Warum die Ansprüche immer weiter wachsen, weiß ich nicht. Jedenfalls hätte früher niemand wegen einer verstopften Toilette den Notruf gewählt. Es hätte sich früher auch niemand beschwert, wenn man nachts mit Martinshorn an seinem Haus vorbeifährt - die Kameraden würden auch lieber schlafen!
KNA: Warum bleiben Sie trotzdem Feuerwehrmann, übrigens ja ehrenamtlicher?
Stutzky: Richtig, Berufswehren gibt's in Bayern nur in sieben Städten. Ich schätze den Kameradschaftsgeist und setze mich gern für andere ein. Genau dabei sehe ich auch eine Verbindung zwischen Feuerwehr und Kirche: Bei der Feuerwehr muss man ja im positiven Sinne handgreiflich werden, man muss zupacken und wird dadurch selbst mit Händen greifbar. So sollte auch Kirche sein. Nahbar und tätlich im Einsatz, vor allem für die Schwächsten.
KNA: "Sollte" heißt, Kirche ist so eben nicht?
Stutzky: Die Kirche betreibt in Deutschland viel "Mittelstandspastoral". Sie kümmert sich sehr um die, denen es eh gut geht. Wichtig ist jedoch eine Stärkung der Arbeit für die Lobbylosen: die Alten und Armen, Kranken und Flüchtlinge. Und Kirche sollte sich offen der Kritik an sich stellen.
KNA: Welcher?
Stutzky: Missbrauchsfälle, Prunksucht, Abgehobenheit mancher Kleriker... Darauf sprechen mich immer wieder Feuerwehrkameraden an. Was kann ich dann sagen? Natürlich, dass das alles schlimm ist! Aber auch, dass Kirche mehr ist. Dass etwa jeden Tag in zig Gemeinden Fürsorge für Menschen betrieben wird. Dass jeder Einzelne dazu beitragen kann, dass Kirche Gutes bewirkt.
KNA: Wie reagieren Ihre Kameraden dann?
Stutzky: Positiv. Einer hat mal gesagt, ich sei ein Beispiel für den sinnvollen Einsatz von Kirchensteuer. Andere haben sich von mir trauen lassen, obwohl sie erst gar nicht kirchlich heiraten wollten. Das ist doch toll: In meinen Jobs lösche und entflamme ich zugleich - einerseits Brände, andererseits Menschen für Kirche und Glauben.