domradio.de: Sie haben auch an dem diesjährigen internationalen Renovabis Kongress teilgenommen, der Anfang September in München stattfand. Das Thema des vom katholischen Osteuropahilfswerk veranstalteten Kongresses war "Chancen in der Krise und die Verantwortung der Kirchen". Was haben Katholiken mit Europapolitik zu tun?
Prof. Thomas Sternberg (Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Es geht vor allem um Ost- und Mitteleuropa. Länder, die nicht im Fokus der europapolitischen Diskussion stehen, aber im Moment außerordentlich wichtig sind. Katholiken haben sehr viel damit zu tun, denn ich glaube, katholische Männer und Frauen in Europa dürften die größte soziologisch beschreibbare Gruppe sein. Wir sind eine Kirche, aber so richtig viel wissen wir doch nicht übereinander. Trotzdem wundern wir uns, wie anders die Spiritualität und das Glaubensleben in den verschiedenen Ländern ist.
domradio.de: Sie selber haben in einem Vortrag von der wachsenden Entfremdung gesprochen. Befinden wir uns wieder in einem zweiten "Kalten Krieg"?
Sternberg: So weit ist es natürlich noch lange nicht. Aber wenn man die schrillen Töne - zum Beispiel aus Polen - hört, dann tröstet es mich, dass die Bischöfe dort zu Mäßigung aufgerufen haben. Schließlich waren es die polnischen und deutschen Bischöfe, die den Aussöhnungsprozess mit Polen 1965 in Gang gesetzt haben. Es waren vor allem immer auch Laien beteiligt. Zum Beispiel war es das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die das Maximilian-Kolbe-Werk gegründet haben. Ebenso haben sie nach 1990 die Gründung von Renovabis angetrieben.
Katholische Laien in Deutschland haben immer schon Verantwortung wahrgenommen. Im Moment habe ich den Eindruck, dass wir besonders aufgerufen sind. Dort, wo der europäische Gedanke in einigen Ländern an Attraktivität zu verlieren scheint, hat dieser Europagedanke auch etwas mit unserer christlichen Überzeugung zu tun.
domradio.de: Papst Franziskus hat gesagt, Europa sei müde. Meint er genau das damit, was Sie angesprochen haben?
Sternberg: Die Müdigkeit Europas meinte er vielleicht auch damit, dass er den Eindruck hatte, Europa besinne sich zu wenig auf seine eigenen Stärken. Als Papst Franziskus den Karlspreis bekommen hat, fand ich seine Worte sehr besonders. Europa sei immer dann stark gewesen, wenn es seine großen Fähigkeiten ausspiele: die Fähigkeit zur Kreativität, zum Dialog und zur Integration. Das stimmt tatsächlich. Schaut man einmal in die europäische Geschichte, war Europa dann besonders stark, wenn es sich in der Lage zeigte, andere Tendenzen und Strömungen aufzugreifen und zu integrieren. Man denke auch an Thomas von Aquin oder Albert den Großen.
domradio.de: Sie selber haben sich für die Einheit in Vielfalt ausgesprochen. Ist diese Vielfalt nicht auch ein Teil der Ursache für die aktuellen Spannungen?
Sternberg: Ich glaube, dass Europa immer schon von Vielfalt geprägt war - eine Vielfalt, die Bestandteil einer Einheit ist. Europa ist von seiner christlichen Prägung her, von seiner gemeinsamen Geschichte her - für mich - zunächst etwas Gemeinsames. Etwas, was man zu anderen Kulturen abgrenzen kann, nicht schlechter, nicht besser - nur anders. In diesem Gleichen gibt es eine Fülle von Unterschieden, von Schwerpunkten.
domradio.de: Was bedeutet das für jeden einzelnen Christen?
Sternberg: Das wichtigste sind wirklich persönliche Begegnungen und Kontakte, die man auf möglichst breiter Front wahrnehmen sollte. Wenn sich Menschen untereinander verständigen, miteinander sprechen, dann geschieht Aussöhnung. Dafür brauchen wir Kontakte zur neuen Generation. Wir hatten die große Generation der Aussöhnung mit Polen, die deutsche Kriegsschuld war das große Thema. Mit einer neuen Generation müssen wir über die Bildung eines Europas sprechen, indem Polen, Franzosen, Deutsche, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Italiener, Spanier und Griechen selbstverständlich dazugehören und einen neuen Kontinent aufbauen.
Das Gespräch führte Bernd Knopp.