"Einheit ist nicht Uniformität und Verschiedenheit nicht Verzicht auf Gemeinschaft", sagte der evangelische Theologe in seiner Predigt im Mainzer Dom vor rund 1.000 geladenen Gästen. Zu einem offenen, toleranten Land gehöre auch die Religionsfreiheit. Zwischen Menschen verschiedener Religionen dürfe kein Keil getrieben werden.
"Wir bejahen die freie Religionsausübung für alle in unserem Land", sagte Schad. "Wir machen diese Haltung auch nicht von der Frage abhängig, ob in anderen Ländern Christen ihrerseits Religionsfreiheit gewährt wird." Die Kirche kämpfe zugleich für die Religionsfreiheit als universales Menschenrecht. "Wir finden uns nicht damit ab, dass es insbesondere Christen sind, die unter Einschränkungen dieses Menschenrechts zu leiden haben", erklärte der Kirchenpräsident.Ausdrücklich erinnerte Schad daran, dass es Christen in Mittel- und Ostdeutschland gewesen seien, die mit friedlichen Montagsgebeten und Märschen der Freiheitsliebe eine Stimme gegeben hätten. Am Ende, so Schad, "fielen unter dem gewaltfreien Wort Mauern und Zäune nieder".
Gott für deutsche Einheit danken
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hatte in seiner Begrüßung von Deutschland als einem "prächtigen Land" gesprochen. Er forderte dazu auf, sich bewusst zu machen, dass nicht alles allein in menschlichen Händen liege, manches auch ein kostbares Geschenk sei. "Einheit, Freiheit und Frieden - seit nunmehr 27 Jahren. Heute wollen wir Gott Dank sagen."
In dem Gottesdienst stellten sich ehrenamtliche Initiativen vor, so etwa die Muslimische Seelsorge (MUSE) und der Verein Armut und Gesundheit. Dessen Vorsitzender Gerhard Trabert betonte, Humanität kenne keine Grenzen, auch keine Obergrenzen. Die Bewährungsprobe von Freiheit, so der Mainzer Sozialmediziner, sei soziale Gerechtigkeit.
Die zentralen Feierlichkeiten zum jährlichen Tag der Deutschen Einheit werden stets in dem Bundesland ausgerichtet, das zu diesem Zeitpunkt - wie jetzt Rheinland-Pfalz - turnusgemäß den Vorsitz im Bundesrat innehat. Nächstes Jahr ist es Berlin.Der Tag der Deutschen Einheit ist der deutsche Nationalfeiertag und erinnert an die Wiedervereinigung. Begangen wird er stets am 3. Oktober, weil die Einheit mit dem Wirksamwerden des Beitritts der seinerzeitigen DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 vollendet wurde.
"Keine Obergrenzen"
Vertreter einiger sozialer Initiativen aus Rheinland-Pfalz nutzten kurze Redebeiträge bei dem Fernsehgottesdienst, um an die soziale Verantwortung der Regierenden zu erinnern. Arme Menschen dürften nicht gegen andere Arme ausgespielt werden, forderte der Mainzer Arzt Gerhard Trabert. "Humanität kennt keine Grenzen, auch keine Obergrenzen", sagte er an die anwesenden Spitzenpolitiker gerichtet.
Zu dem Gottesdienst und einem anschließenden Festakt waren neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch die Mitglieder der Bundesregierung, die Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer und zahlreiche weitere Ehrengäste nach Mainz gekommen. Die zentralen Einheitsfeiern werden jährlich in dem Bundesland abgehalten, das den Vorsitz im Bundesrat führt. Im Oktober 2017 war Rheinland-Pfalz zum zweiten Mal nach 2001 an der Reihe. Aus Angst vor Terroranschlägen wurden die Feierlichkeiten von immensen Sicherheitsmaßnahmen begleitet. An den Zufahrtsstraßen zur Festzone wurden Betonsperren platziert, insgesamt sind über 7.000 Polizeibeamte im Einsatz.
Bürgerfest am Nachmittag
Die Feierlichkeiten sind eingebettet in ein Bürgerfest, das am Montagnachmittag beginnt. Für die beiden Tage wird in Mainz mit insgesamt rund 500.000 Besuchern gerechnet. Die Festmeile soll im Zeichen der deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold stehen. Das Bistum Mainz plant im Innenhof des Bischöflichen Ordinariats ein musikalisches Bühnenprogramm. Die evangelische Kirche präsentiert sich gemeinsam mit Amnesty International von Montag auf Dienstag mit einer "Nacht der Freiheit" in der Christuskirche. Dabei soll auf die Verletzung der Freiheitsrechte von Menschen weltweit aufmerksam gemacht werden..
Bedford-Strohm warnt vor Nationalismus
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat am Vorabend zum 3. Oktober vor den Gefahren eines wachsenden Nationalismus in Europa gewarnt. "Wer sein eigenes Land oder seine eigene Volksgruppe überhöht und dadurch gegen die anderen in Stellung bringt, produziert Hass, irgendwann Gewalt und am Ende vielleicht sogar wieder unzählige Tote", sagte der bayerische Landesbischof in einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit am Montagabend in Ingolstadt. Auch wo dies "mit dem christlichen Mäntelchen" umgeben werde, sei Widerspruch angesagt. Kirche stehe für das Gegenteil: Versöhnung der Völker und Anerkennung der Würde eines jeden Menschen, unabhängig von seiner Nationalität oder Volksgruppe.
Freiheit sei heute das zentrale Thema der Gesellschaften, sagte Bedford-Strohm laut Redemanuskript. Dabei dürfe es aber nicht zu einer "individualistischen Verengung des Freiheitsbegriffs" kommen. Egoismus, Gier und Verlust an sozialem Zusammenhalt seien die Folgen, wenn das Individuum mehr und mehr ins Zentrum rücke. Mehr Selbstdistanz und Selbsterkenntnis täten sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben gut. So dürfe auch die politische Debatte nicht mit einer "Kultur wechselseitiger Beschuldigungen oder gar persönlicher Beleidigungen" verwechselt werden. Wer dies tue, offenbare einen Mangel an sachlicher Argumentationskraft.
Neue Mauern
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fordert die Auseinandersetzung mit neu entstandenen Mauern in Deutschland. Diese stünden dem gemeinsamen "Wir" im Wege, sagte Steinmeier beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am Dienstag in Mainz laut Redemanuskript. "Ich meine die Mauern zwischen unseren Lebenswelten: zwischen Stadt und Land, online und offline, Arm und Reich, Alt und Jung - Mauern, hinter denen der eine vom anderen kaum noch etwas mitbekommt", erklärte er. Entfremdung, Enttäuschung oder Wut sei bei manchen so fest geworden, dass Argumente sie nicht mehr erreichten.
Steinmeiers Ansicht nach braucht die Demokratie Kontroversen und Differenzen. "Wir sind ein vielfältiges Land. Aber worauf es ankommt: Aus unseren Differenzen dürfen keine Feindschaften werden - aus Unterschied nicht Unversöhnlichkeit", appellierte der Bundespräsident. Gleichzeitig betonte er beim Thema Flucht und Migration: "Die Not von Menschen darf uns niemals gleichgültig sein." Ehrlich solle aber damit umgegangen werden, zu unterscheiden, "wer politisch verfolgt oder wer auf der Flucht vor Armut ist". Das Grundgesetz garantiere den Schutz vor politischer Verfolgung.