Top-Kleriker in Melbourne angeklagt, in Rom gärt es

Kardinal Pell unter Druck

Der Leiter des vatikanischen Wirtschaftsressorts steht wegen Missbrauchs vor Gericht - die Richter ließen eine Anhörung zu. Derweil zeigen sich Erschütterungen in der Kurie. Es scheint, als ob die Reform von Papst Franziskus Sand im Getriebe hat.

Kardinal George Pell / © Robert Duncan (KNA)
Kardinal George Pell / © Robert Duncan ( KNA )

Drei Jahre war George Pell einer der mächtigsten Männer der katholischen Welt. Der Papst berief den Kardinal in seinen engsten Beraterkreis, gab ihm Kontrolle über die Wirtschaftsaktivitäten der Kirche. Doch für die Justiz im australischen Melbourne ist er einfach ein 76-Jähriger, dem vorgeworfen wird, vor langer Zeit sexuelle Übergriffe gegenüber Jungen begangen zu haben.

An diesem Freitag prüfen die Richter, ob und wie sein Prozess weitergeht. An diesem Datum wird Pells Büro im Apostolischen Palast am anderen Ende der Welt seit 100 Tagen verwaist sein, eine der machtvollsten Vatikanbehörden ohne ihren Kopf.

Anhörung gegen Kardinal Pell zugelassen

Nun entschieden die Richter, dass sich der prominente Papstberater im März 2018 einer umfassenden inhaltlichen Anhörung stellen muss. Das Amtsgericht in Melbourne befand in seiner nur 20 Minuten dauernden zweiten Sitzung, dass das von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Beweismaterial die Eröffnung einer Anhörung rechtfertige. Am Ende der vierwöchigen Anhörung werde das Gericht aufgrund der Aussagen von rund 50 Zeugen und einem "voluminösen" Beweismaterial über die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Pell entscheiden.

Pells Anwalt Robert Richter kündigte an, die Verteidigung werde beweisen, dass einige der Dinge, die seinem Mandanten vorgeworfen werden, niemals stattgefunden hätten. Einzelheiten der Anklage wurden auch in der Sitzung am Freitag nicht bekannt.

Wie schon beim Beginn des historischen Verfahrens Ende Juli war Pell auch bei diesem Gerichtstermin persönlich anwesend. Das Interesse der Öffentlichkeit war jedoch nicht so groß wie zum Prozessauftakt, zu dem Hunderte Journalisten aus aller Welt nach Melbourne gekommen waren.

Die Polizei hatte Pell im Juni wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch männlicher Jugendlicher angeklagt. Der Kardinal war bereits im Oktober 2016 in Rom von australischen Polizisten zu den Missbrauchsvorwürfen befragt worden. Pell bestreitet die Vorwürfe entschieden.

Das Bistum Ballarat in der Nähe der von Melbourne gilt als das Epizentrum des australischen Missbrauchsskandals. In diesem spielt Pell schon lange eine zentrale Rolle - sowohl als Kämpfer gegen Missbrauch als auch als jemand, der an der Vertuschung von Missbrauchsfällen beteiligt gewesen sein soll. Hinzu kommen die Vorwürfe, selbst zu den Tätern zu gehören. 2002 war Pell vor einer kircheninternen Untersuchungskommission der Erzdiözese Melbourne aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf freigesprochen worden, als junger Priester einen Mann in einem Zeltlager sexuell missbraucht zu haben.

Auf Pell ruhten Franziskus Hoffnungen

Pell schien der richtige Mann, als Franziskus im Februar 2014 einen Chef für das neuerrichtete Wirtschaftssekretariat brauchte. Einer, der nicht aus den alten kurialen Netzwerken kam, der in 18 Jahren als Erzbischof in Melbourne und Sydney Durchsetzungsvermögen und Konfliktbereitschaft gezeigt hatte. Pell, das ehemalige Australian-Football-Talent, ein Mann, der austeilen und einstecken kann.

Kurz nach seiner Papstwahl hatte Franziskus ihn in seinen handverlesenen Kardinalskreis geholt. Mit dem Deutschen Reinhard Marx und ein paar anderen sollte Pell die Kirchenleitung auf ein neues Gleis schieben. Pell wurde Präfekt des Wirtschaftssekretariats, Marx Koordinator des Wirtschaftsrats, der eine Art Aufsichtsratsfunktion wahrnimmt. Beides Schlüsselpositionen in der Kurienreform.

Pell sprach von einer "Rufmordkampagne"

Doch plötzlich war der Aufräumer ein Angeklagter. Vergangenen 29. Juni rief Vatikansprecher Greg Burke die Journalisten zu ungewohnt früher Stunde in den Pressesaal. Pell, sichtlich betroffen, sprach von einer "Rufmordkampagne"; den Prozess nannte er eine "Gelegenheit, meinen Namen reinzuwaschen und dann hier nach Rom an meine Arbeit zurückzukehren". Burke dankte dem Kardinal im Namen des Papstes für die gute Zusammenarbeit und seine Aufrichtigkeit während seiner Zeit in Rom. Der Heilige Stuhl, sagte er noch, respektiere die australische Justiz. An der großen Messe mit Franziskus zum römischen Patronatsfest am gleichen Vormittag nahm Pell schon nicht mehr teil.

Pell war angetreten, um Wirtschaftsbehörde transparent zu machen

Seitdem liegt die operative Leitung des Finanzressorts bei Luigi Misto, einem 65-jährigen norditalienischen Priester. Bevor er 2015 in das Spitzenteam bei Pell wechselte, war er knapp vier Jahre Sekretär der vatikanischen Güterverwaltung, genannt Apsa. Sucht man heute bei Misto Auskunft über den Stand der Dinge nach der langen Abwesenheit seines Chefs, verweist er auf das Presseamt. Dessen Direktor Burke erklärt, Misto sei der zuständige Ansprechpartner. Irgendwann werden Anrufe nicht mehr durchgestellt, E-Mails bleiben unbeantwortet. Dass Misto sich äußert, sei "nicht vorgesehen", heißt es schließlich.

Die Wirtschaftsbehörde im Vatikan trat an, um einen verantwortlichen und transparenten Gebrauch der irdischen Güter zu garantieren. Naturgemäß kam es dabei zu Widerständen. Anfangs wollte Pell über seine Kontroll- und Koordinierungsaufgabe hinaus gleich die ganze Immobilienverwaltung an sich ziehen. Später lieferten er und die Apsa sich einen Schlagabtausch mit internen Rundschreiben, wer wem auskunftspflichtig sei. Das Staatssekretariat musste den Knoten durchhauen.

Beim Durchforsten "Hunderte Millionen Euro" gefunden

Ein kleiner Coup gelang Pell Ende 2014 mit der Mitteilung, seine Mitarbeiter hätten beim Durchforsten von Rechnungsbüchern "Hunderte Millionen Euro" gefunden, die unbekannt in vatikanischen Kassen schlummerten. Die Nachricht veröffentlichte er über eine britische Kirchenzeitung; manche legten ihm das als Illoyalität aus. Jetzt sorgt der ehemalige vatikanische Rechnungsprüfer für Schlagzeilen. Sein Posten war im Rahmen der Finanzreform eigens eingerichtet worden; als Erstbesetzung warb das Staatssekretariat Libero Milone an, einen Top-Mann, langjähriger Chef des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte in Italien. Am 19. Juni trat er urplötzlich zurück, im gegenseitigen Einvernehmen, wie es hieß. Nun sagt er: Es war nicht freiwillig. Milone spricht von Erpressung. Man habe ihm eine gefälschte Rechnung vorgelegt, die Veruntreuung belegen sollte.

In Wirklichkeit, sagt er, hätten alte Seilschaften im Vatikan Angst vor dem, was er aus den Bilanzen wusste. Nach Darstellung des vatikanischen Presseamts ist er einer, der seine Kompetenzen überschritten und das Privatleben von Prälaten ausgeschnüffelt hat. Eine Straftat. Seine Entlassung erfolgte zehn Tage vor dem Abschied Pells, und Milone sagt, er hoffe, dass dies nur ein Zufall sei. Ob er die Wahrheit sagt oder gezielt verleumdet - es wirkt wie ein Wink, dass Pell, der einst Mächtige, sich im Vatikan auf niemanden verlassen kann, wenn er je zurückkommt.


Quelle:
KNA