Dass München eine Anziehungskraft auf kluge Köpfe hat, steht außer Zweifel. Manchmal kommen gleich mehrere aus Geseke. Bei einem Expertengespräch über die Soziale Marktwirtschaft am Freitag in München trafen zwei, die in dieser ostwestfälischen Stadt aufgewachsen sind, bei einem Podium aufeinander: der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, und der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest.
Ordnungsbedarf der Weltwirtschaft
Angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und politischen Krisen ging es um den Ordnungsbedarf der Weltwirtschaft. Geladen zu der Fachveranstaltung hatten die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung, die Hochschule für Philosophie der Jesuiten und der Bund der Katholischen Unternehmer mit Unterstützung der Erzdiözese München und Freising.
Nüchtern bilanzierte Fuest die Herausforderungen: So sei der Einfluss nationaler Klimapolitik auf die globale Erwärmung quasi gleich null.
Nur zusammen lasse sich weltweit etwas bewirken. Das Abkommen von Paris lässt grüßen. Als existenzielle Frage sieht der Fachmann das sinkende Wirtschaftswachstum. Wer meine, der Verzicht auf ein drittes Auto oder eine dritte Urlaubsreise im Jahr sei doch nicht so schlimm, irre. "Darum geht es nicht." Letztlich hänge am Wachstum auch der wissenschaftliche Fortschritt. Wobei durchaus darüber nachzudenken sei, in welche Richtung dieser gehen solle: Stichwort Umweltzerstörung.
Keine höheren Staatsschulden
Von höheren Staatsschulden hält Fuest nichts, da es bei künftigen Krisen sonst wieder an den Reserven fehle. Im Übrigen sei in Sachen Ungleichheit schon viel mehr passiert als gemeinhin bewusst. 1980 hätten noch 42 Prozent der Weltbevölkerung als absolut arm gegolten.
Heute treffe dies nur noch auf 10 Prozent zu. Zu den Gewinnern der Globalisierung zählten letztlich nicht nur die Reichsten unter den Reichen, sondern auch die globale Mittelschicht; zu den Verlierern dagegen die Ärmsten der Armen und die sogenannte Unterschicht in den Industrieländern. Gerade über jene Niedrigqualifizierten gelte es, sich Gedanken zu machen.
Anfangs hatte der ifo-Präsident seine Thesen noch mit dem Laptop an die Wand projizieren lassen. Doch dann streikte plötzlich die Technik, und er musste allein auf die Kraft seiner Worte setzen.
Sozialethiker Marx
Darauf vertraute der Kardinal von vornherein. Auch wenn er über die digitale Welt rede, so habe er doch seine handschriftlichen Notizen dabei, sagte Marx und legte zur Erheiterung des Publikums seine Blätter aufs Rednerpult. Als Sozialethiker erinnerte er daran - "auch wenn es banal klingt" - dass Wirtschaft gestaltet werden müsse. Sie habe den Menschen zu dienen, und zwar "möglichst allen", gleiches gelte für die Globalisierung. Wie überhaupt der Wettbewerb Regeln brauche.
Es komme auf einen ganzheitlichen Blick an, mahnte der Kardinal. Dies sei bei der Finanzkrise 2008 nicht der Fall gewesen. Die Britische Akademie sei ebenfalls zu dieser Erkenntnis gekommen, als die Queen von ihr den Grund für das Desaster habe wissen wollen. Auch Papst Franziskus habe in seiner Enzyklika "Laudato si" betont, keinen Bereich nur für sich zu sehen. "Alles hängt mit allem zusammen." Weiter regte Marx an, darüber nachzudenken, wie Fortschritt zu verstehen sei: "Vielleicht muss Europa da eine Idee vorantreiben."
Und noch etwas trieb Marx um. So gebe es zwar Wirtschaftsweisen, die die Politik beraten würden, doch andere Räte, die etwas "breiter schauen" würden, gebe es nicht. Dabei wäre doch eine ethische Orientierung langfristig vernünftig.