domradio.de: Sie sitzen zusammen mit Vertretern vom Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und vom Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland (ZdK) in Siegburg bei einer Tagung im Vorfeld der am kommenden Montag beginnenden Weltklimakonferenz in Bonn. Dabei geht es um "Kirchliche Perspektiven und Positionen zur Umsetzung des Weltklimaabkommens in Deutschland". Ist genau das das Thema bei der UNO-Konferenz in Bonn, die Umsetzung des Pariser Abkommens?
Dr. Martin Bröckelmann-Simon (Geschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor): Man kann das so sagen. Im Prinzip geht es darum, das Betriebssystem für das Abkommen zu definieren, das Regelwerk, nach dem die einzelnen Staaten dann ihre jeweiligen nationalen Klimaschutzpläne entwickeln, aufstellen und auch überprüfbar machen. Es muss sozusagen die Struktur geschaffen werden, damit die vereinbarte Überprüfung stattfinden kann. Die nächste Konferenz findet kommendes Jahr in Polen statt und die nächste Überprüfung wird dann 2023 sein. Um aber überprüfen zu können, braucht es ein Regelwerk und das ist hier das große Thema. Das klingt technisch, ist aber immens relevant, weil sich daraus sofort Maßnahmen für den Alltag aller ableiten lassen.
domradio.de: Wie weit ist Deutschland denn bisher dabei gekommen, das Pariser Abkommen umzusetzen?
Bröckelmann-Simon: Leider noch nicht so weit, wie wir uns das wünschen würden. Wir haben ja auch in den letzten Wochen verschiedene Berichte hören müssen, dass wir vermutlich das selbstgesteckt Ziel, bis 2020 40 Prozent unserer Emission zu reduzieren, wahrscheinlich nicht erreichen werden. Schlimmstenfalls laden wir sogar nur bei 30 Prozent. Und wir haben im letzten Jahr und vermutlich auch in diesem Jahr wieder einen Anstieg der Emissionen in Deutschland zu verzeichnen. Das heißt, jetzt sind ganz einschneidende Maßnahmen nötig, um diesem eigenen Ziel wieder näher zu kommen.
domradio.de: Die USA sind ausgeschert. Welche Rolle spielt das für den Umsetzungsprozess?
Bröckelmann-Simon: Natürlich ist das extrem bedauerlich. Aber die Befürchtungen, dass das eine Sogwirkung haben könnte und andere es den USA nachtun würden, haben sich nicht bewahrheitet. Außerdem muss man sagen, dass innerhalb der USA die Debatte in vollem Gange ist und einzelne Bundesstaaten einfach ausgeschert sind und eigene Klimaschutzpläne aufgestellt haben. Also, es ist bedauerlich. Aber erstens können die USA nicht einfach so aussteigen, dafür gibt es Kündigungsfristen und die muss man jetzt auch einhalten. Zweitens hat es den Verhandlungen bisher nicht geschadet und wir hoffen jetzt, dass sie hier in Bonn nicht noch den Blockierer spielen, sondern sich zurückhalten, damit die anderen wenigstens vorangehen können.
domradio.de: Welche konkreten Forderungen haben Sie da an die künftige Bundesregierung?
Bröckelmann-Simon: Ganz zentral ist eine sofortige beschleunigte Umkehr in der Energiepolitik. Also, eine Energiewende, die insbesondere die Verbrennung der Kohlevorräte stoppt. Wir brauchen einen Ausstiegsplan für die Kohleindustrie, die natürlich auch einen Strukturwandel in den betroffenen Regionen mit in den Blick nimmt. Aber es muss einen Plan geben. Genauso wie es bei der Kernenergie einen konkreten Plan mit Enddatum gab, muss es das bei der Kohle geben. Sonst landen wir weit ab von unseren selbstgesteckten Zielen. Und das Zweite ist, dass der Verkehrssektor sehr deutlich zum Klimawandel beiträgt – ungefähr 20 Prozent hat der Verkehr auf seinen Schultern – und deswegen brauchen wir nicht nur einen Abschied vom Verbrennungsmotor, sondern auch eine ganz andere Form der Planung von Nahverkehr und Stadtentwicklung. Kohle, Verkehr und Landwirtschaft sind die Bereiche, die auf einen klimafreundlichen Pfad gebracht werden müssen.
domradio.de: Was sind denn die kirchlichen Perspektiven?
Bröckelmann-Simon: Wir haben mit der Enzyklika "Laudato si" eine Richtschnur für unser Handeln bekommen, die auch bei dem Durchbruch bei den Klimaverhandlungen von Paris vor zwei Jahren eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. Mit der Ansage, dass es darum geht, unser gemeinsamen Haus zu schützen, dass es um die globalen Güter der gesamten Menschheit geht und Gerechtigkeit zwischen den Generationen und zwischen Arm und Reich, haben wir ethische Grundlagen, die uns dazu bemächtigen, unsere Stimme zu erheben. Und auch heute habe ich wieder von verschiedenen Seiten gehört, wie wichtig der Beitrag der Kirchen und der des Vatikans in Paris gewesen ist und sein wird, dass wir nicht aufhören, Mahner und Rufer zu sein und die Stimmen der Betroffenen zu Gehör bringen.
Das Interview führte Heike Sicconi.